Der einsame Baum - Covenant 05
nicht allzuweit von ihr entfernt. Die Räumlichkeit war nicht sehr groß. Blankehans' Aura umfaßte eine Ballung von Zorn und Wildentschlossenheit. Unaufhörlich, in anscheinend möglichst gleichmäßigen Zeitabständen, die nahezu auf einen Takt hinausliefen, spannte er seine großen Muskeln, stemmte sich mit ganzer Kraft und allem Gewicht gegen seine Ketten. Deren Klirren jedoch war keine Spur von Nachgiebigkeit oder Materialermüdung anzuhören. Linden spürte starken Schmerz zunehmen, wo die Eisenbänder seine Handgelenke umschlossen. Blankehans' Atemzüge röchelten, als martere die Dumpfigkeit der Luft seine Lungen. »Blankehans«, sagte auf einmal heiser die Erste von einer anderen Stelle der Wand. »Hab Erbarmen!« Doch die Bhrathair hatten die Sternfahrers Schatz zu versenken versucht, und er ließ in seinen Bemühungen nicht locker.
Die Stimme der Ersten ließ auf keine ernsten körperlichen Beeinträchtigungen schließen. Lindens Sinne begannen sich nun beschleunigt rundum zurechtzufinden. Ihre Ohren unterschieden die verschiedenen Arten von Atmung innerhalb der Räumlichkeit. Ihre Nerven erforschten den Raum. Irgendwo zwischen der Ersten und Blankehans machte sie Pechnase ausfindig. Das charakteristische Pfeifen, mit dem seine mißgestaltete Brust Atem holte und entließ, sagte Linden, er war nicht bei Bewußtsein. Der Schmerz, den seine Gestalt emittierte, zeigte an, daß er einen wuchtigen Schlag erhalten hatte; aber sie spürte keinerlei Anzeichen innerer Blutungen. Neben ihm entdeckte sie Cail. Er blieb reglos, atmete ruhig; doch sein Haruchai -Fleisch war nicht zu verkennen. Er wirkte nicht weniger unerbittlich und unbeeindruckbar als das Felsgestein, an das man ihn gekettet hatte. Brinn war an eine andere Wand gekettet, stand der Ersten gegenüber. Seine zerstreute innere Angespanntheit gab Linden die Vermutung ein, daß er schon den gleichen Versuch unternommen hatte, den gegenwärtig Blankehans machte – und daß er von ihm verworfen worden war wie sinnloser Unfug. Trotzdem nahm er in seiner angeborenen Neigung zum Außergewöhnlichen interessiert an den Bestrebungen des Kapitäns Anteil. Neben Brinn befand sich Seeträumer, wortloses Verlangen durch die Dunkelheit hinüber zu seinem Bruder gerichtet. Seine Stummheit zermürbte wie ein pausenloses Geheul. Tief in seinem Innern ähnelte er einem straffen Knoten von Erd-Sicht und Verzweiflung.
Einen Moment lang machte Seeträumers Intensität Linden für Ceers Präsenz unempfänglich. Aber dann bemerkte sie auch den verletzten Haruchai . Er war ebenfalls gegenüber der Ersten, Pechnase und Blankehans an die Wand gekettet. Was Haltung und Atmung betraf, wirkte er so unerschüttert wie Brinn oder Cail; doch Linden merkte, daß Pein ihm den Schweiß aus den Poren trieb. Die Emanationen seiner Schulter waren heftig: die eisernen Bänder nötigten ihn zu einer Körperhaltung, die das gebrochene Schlüsselbein belastete. Aber dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu dem Wüten schriller Qual in seinem zermalmten Knie.
Das unwillkürliche Mitempfinden fuhr Linden in die Beine, schien sie regelrecht unter ihr wegzustoßen. Sie brachte es erst wieder zustande, sich aufzurichten, das eigene Körpergewicht zu tragen, als der Schmerz in den Oberarmen ihr zu sich selbst zurückverhalf. Ceer war so schwer verletzt und gab so wenig darum ... Lindens gesamte Ausbildung und ihre ganze, langjährige ärztliche Tätigkeit bäumten sich gegen seine Situation auf. Sie stöhnte und setzte sich mit der Erinnerung an Kasreyns Tücke auseinander, versuchte sich etwas vorzustellen, wodurch das Resultat abzuwehren gewesen sein könnte. Aber ihr kam nichts in den Sinn – nichts außer Kapitulation. Auslieferung Covenants an den Wesir. Unterstützung von Kasreyns Absicht, seinen Willen Covenants anscheinend unabänderlicher Wehrlosigkeit aufzuzwingen. Verrat an jedem Gefühl, das sie mit dem Zweifler verband. Nein. So etwas hätte sie nicht tun können; nicht einmal, um Ceer dies Leid zu ersparen, Hergroms Tod zu verhindern. Thomas Covenant bedeutete ihr mehr als ... Covenant!
Er war nirgends in der ungemilderten Dunkelheit des Kerkers zu entdecken. Lindens Sinne tasteten in sämtliche Richtungen durch die Finsternis, suchten ihn wie in Raserei. Doch sie fand nirgendwo das Pochen eines Pulsschlags, das Zittern eines Atmens, das die Gegenwart des Zweiflers angezeigt hätte. Hohl war da. Cail befand sich neben Linden. Die Erste, Blankehans mit seinen ständigen
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