Der einsame Baum - Covenant 05
geschworen, ihn zu schützen. Ich nicht.«
»Auserwählte.« Cail benutzte ihren Titel mit einem Anflug von Barschheit. »Wir haben getan, was in unserer Macht steht. Aber niemand vermag sich ihm zu nahen. Sein Feuer bedroht jeden, der ihm näher tritt. Brinn hat eine Brandwunde erlitten. Doch das ist ohne Belang. Diamondraught wird seine Genesung beschleunigen. Gedenke jedoch der Riesen. Wenngleich sie Feuer und Flamme zu trotzen vermögen, sind sie den Kräften seines weißen Rings schutzlos ausgeliefert. Als die Erste ihm nahe zu kommen trachtete, ist sie um ein Haar über Bord geschleudert worden. Und auch Derbhand, der Ankermeister, hat's gewagt. Als seine Besinnung zurückkehrte, schätzte er sich glücklich, sich lediglich einen Arm gebrochen zu haben.«
Brandwunde , dachte Linden betroffen. Armbruch . Sie rang die Hände. Sie war Ärztin; sie hätte sich längst um Brinn und Derbhand kümmern müssen. Doch sogar aus einigem Abstand glich Covenants Verfassung einem Anschlag auf ihre Zurechnungsfähigkeit. Sie hatte gar keine Entscheidung getroffen; ihre Füße wollten schlichtweg keinen einzigen Schritt mehr in Covenants Richtung tun. Sie konnte ihm nicht helfen, ohne ihm Gewalt anzutun. Zu anderem war sie außerstande. Das und sonst nichts war aus ihr geworden. Als sie keine Antwort gab, sprach Cail weiter. »Es ist ein glatter Bruch, den die Lagermeisterin zu behandeln vermag. Nicht diese Geschehnisse sind's, von denen ich reden will. Mein Wunsch ist's, du mögest verstehen, daß wir machtlos sind. Wir vermögen uns ihm nicht zu nahen. Daher liegt's bei dir. Du bist's, die ihm Beistand leisten muß. Wir glauben, daß er wider dich keine Gewalttätigkeit zeigen wird. Von allen Gefährten bist du's, die ihm am nächsten steht – du bist ein Weib seiner Welt. Sicherlich wird er dich selbst in seinem Wahnsinn erkennen und sein Feuer bändigen. Wir haben ersehen, daß du einen Platz in seinem Herzen hast.« In seinem Herzen? Fast hätte Linden aufgeschrien. Nichtsdestotrotz sprach Cail in einer Art und Weise zu ihr, als hätte er sich seine Darlegungen vorher genau zurechtgelegt und setze sie ihr nun in rein sachlicher Pflichtgemäßheit auseinander. »Dennoch mag's sein, daß wir uns irren. Vielleicht wird er auch wider dich gewalttätig sein. Aber du mußt den Versuch wagen. Du besitzt eine Fähigkeit des Sehens, wie kein Haruchai oder Riese sie kennt oder verstehen kann. Als dich die Sonnenübel-Erkrankung befiel, hast du erkannt, daß Voure das rechte Mittel war, um dir zu helfen. Als dein Fuß gebrochen war und wir seine Verkrüppelung unabwendbar wähnten, hast du selbst uns dabei angeleitet, ihn zu richten und zu schienen.« Trotz der Ausdruckslosigkeit seines Gesichts zeichnete die Forderung in seiner Miene sich durch die Unmißverständlichkeit einer geballten Faust aus. »Du mußt ihn anschauen, Auserwählte! Du mußt den Weg zu seiner Heilung finden!«
»Ich muß?« entgegnete Linden rauh. Cails leidenschaftslose Beharrlichkeit regte sie auf. »Du hast keine Ahnung, was du verlangst. Die einzige Möglichkeit, um ihm zu helfen, besteht darin, daß ich in ihn eindringe und ihn meinem Willen unterwerfe. Wie das Sonnenübel. Oder wie ein Wütrich. Es wäre schon schlimm genug, wäre ich so unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Aber in was würde ich mich verwandeln, wenn ich an soviel Macht gelange?« Womöglich hätte sie weitergesprochen, Cail angeschrien: Und er würde mich dafür hassen! Er würde mir nie wieder vertrauen! Oder sich selbst trauen. Aber die schlichte Nutzlosigkeit jedes Herumschreiens mit Cail bewog sie zur Zurückhaltung. Ihre Erregung kam ihr völlig zwecklos vor. Cails kompromißlose Miene ließ dergleichen vollauf verpuffen. »Ich bin Gibbon schon zu ähnlich«, sagte sie nur matt und mit leiser Stimme, statt weitere Argumente anzuführen.
Cails Blick wich nicht aus ihrem Gesicht. »Dann wird er sterben.«
Ich weiß. Gott helfe mir. Linden drehte dem Haruchai den Rücken zu, legte ihre Arme über die Querbalken der Reling, um zu verhindern, daß sie auf die Knie sank. Ihn in ihre Gewalt bringen? Nach einem Moment spürte sie, wie der Haruchai zum Achterdeck zurückging. Ihre Hände rangen einander, als drohe ihre Zwecklosigkeit in Irrsinn umzuschlagen. So viele Jahre hatte sie damit zugebracht, sie zur Geschicklichkeit zu erziehen, sie heilen zu lehren, selbst zu lernen, sich auf sie zu verlassen. Nun waren sie zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie konnte Covenant nicht einmal
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