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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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doch Windsbrauts sture Miene deutete in keiner Hinsicht an, daß sie sich mit etwas von außergewöhnlichem Rang abgab. Aus ihrem Gürtel zog sie zwei mit Leder umwickelte Stäbe und begann ohne weitere Umstände das Trommelfell zu schlagen, trommelte einen komplizierten, unregelmäßig strukturierten Rhythmus ins Meer hinaus. Durch den Stein des Schiffs spürte Linden, wie der Trommelschlag den Kiel unterquerte, sich verbreitete wie ein Aufruf.
    »Pechnase ...« Sie fühlte noch immer Covenant, obwohl die Riesen, die sich zwischen ihr und ihm befanden, die Wahrnehmung abschwächten. Seine Präsenz glich einer schmerzhaften Stelle zwischen ihren Schulterblättern. Doch Windsbraut beanspruchte ihre Aufmerksamkeit. Die Aussicht auf Gefahr machte Linden nervös. Sie verspürte das Bedürfnis, Stimmen zu hören, Erklärungen zu erhalten. »Meine Güte, was treibt sie dort eigentlich?«
    Der verkrüppelte Riese sah sie an, als müsse er sich erst der Bedeutung ihres mißmutigen Tonfalls vergewissern. »Sie ruft Nicor «, antwortete er gleich darauf mit leiser Stimme. »Die Nicor der Tiefe.« Diese Auskunft verhalf Linden zu keinerlei Aufschluß. Aber ehe sie eine bessere Antwort erfragen konnte, sprach Pechnase weiter. »Nur selten zeigen die Nicor sich ohne Verzug. Wahrscheinlich werden wir für eine Weile harren müssen. Derweilen will ich dir die Geschichte erzählen.« Hinter Linden hatte die Mehrzahl der Besatzung inzwischen den Bug geräumt. Lediglich die Erste, Blankehans, Seeträumer und zwei oder drei andere Riesen waren noch da; der Rest hatte die Webeleinen erklommen. Gemeinschaftlich hielten sie Ausschau an den gesamten Horizont. »Auserwählte«, erkundigte Pechnase sich gedämpft, »hast du je von der Schlange des Weltendes vernommen?« Linden schüttelte den Kopf. »Nun, gleichwohl.« Ein Anflug lebhaften Interesses klang in seinem Tonfall mit, Ausdruck seiner Liebe zu Geschichten. Windsbrauts Trommelschlag dröhnte unverändert in seinem komplizierten Rhythmus weiter. Während er dumpf in die leblose Luft, die anwachsende Hitze und die See hinaushallte, nahm er so etwas wie die Natur einer Klage an, eines Beklagens von Einsamkeit, eines Rufs nach Gefährtenschaft. Unermüdlich hob die Riesin die Arme und ließ sie fallen. »Es heißt bei den Elohim, deren Wissen wundersam ist und voller sehr schwieriger Widersprüchlichkeiten ...« – Pechnase lachte aus nur ihm verständlicher Belustigung auf –, »daß in der urzeitlichen Ewigen Jugend des Kosmos, lange bevor die Erde ihren Platz einnahm, die Sterne an all dem Himmel so viele an Zahl waren und so dicht gesät wie Sand am Meer. Wo wir heute eine Vielfalt lichter Wesen sehen, da gab es damals ein Vielfaches dieser Vielfalt, und der Kosmos glich vom einen zum anderen Ufer einem Meer von Sternen, die vom Ausmaß ihrer heutigen Vereinzelung noch nichts ahnten, denen ein solcher Anlaß zum Kummer als unvorstellbar galt. Sie waren das leibhaftige Volk des Himmels, uns so wenig vergleichbar wie Götter. Gewaltig und warm in ihrer hellen Schönheit tanzten sie zu den Klängen ihrer Musik und waren's so zufrieden.« Erregung ging durch die Riesen am Fockmast, verebbte jedoch bald. Ihre scharfen Augen hatten in der Ferne etwas erspäht; doch es war wieder verschwunden. »Weitab jenseits des Himmels aber wohnte ein Wesen anderer Art. Die Schlange. Während langer Zeit hatte sie friedlich geschlafen, doch als sie erwachte – wie sie am Anbeginn eines jeden neuen Zeitalters erwacht –, da verspürte sie ungeheuren Hunger. Jede Schöpfung geht einher mit Untergang, so wie Leben nicht von Tod zu trennen ist. Und die Schlange war die Vernichtung. Getrieben von ihrer Gier, begann sie Sterne zu verzehren. Es mag sein, daß die Schlange inmitten all der vielen Sterne nicht groß war, doch ihre innere Leere war unermeßlich, und indem sie den Himmel durchstreifte, verschlang sie ganze Fluten von Licht, fraß weite Breschen der Vereinsamung in des Himmels Helligkeit. Lange, lange Zeit hindurch wand sie sich dahin, gefräßig und unersättlich, nährte sich von allem, was in ihre Reichweite kam, bis der Himmel so spärlich bevölkert war wie eine Wüste.« Während Linden lauschte, begann sie die Ursachen der Liebe, die diese Riesen Geschichten entgegenbrachten, in Ansätzen zu verstehen. Pechnases leises Erzählen spann der Stille von Himmel und See ein Gewebe von Bedeutung ein. Derartige Geschichten trugen zum Verständnis der Welt bei. Die Grundstimmung von Pechnases

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