Der einsame Baum - Covenant 05
Und sie würde ihn verlieren. Sie schaffte es nicht einmal, zu ihm sagen: Ich habe keine Macht. Begreifst du denn nicht, daß ich aus dem Grund nicht in dich vordringen möchte, weil ich dich schützen will? Statt dessen ließ sie zu, daß die erstarrten Gefilde in ihrem Herzen das Wort ergriffen. »Du hast dir das in den Kopf gesetzt, weil du dich beleidigt fühlst. Es ist wie mit deiner Lepra. Du denkst, du kannst quitt werden, indem du dich opferst. Du betrachtest dich als das universelle Opfer.« Du hast mich ja sowieso nie geliebt. »Das ist die einzige Art, wie du zu leben verstehst.«
Linden sah ihm an, daß sie ihn gekränkt hatte – und daß sein Schmerz keinen Unterschied bewirkte. Je mehr sie ihn verunglimpfte, um so mehr verhärtete sich seine Unnachgiebigkeit. Der wortlose, heiße Blick, auf den sich seine Antwort beschränkte, machte ihn unnahbar. Nach seinen Maßstäben hatte er keine andere Wahl. Wie sollte er sich über sein Schicksal erheben können, außer indem er sich ihm stellte und sich selbst dagegen in die Waagschale warf? Als er ihr den Rücken zukehrte, um Infelizitas' Angebot anzunehmen, versuchte sie ihn nicht noch einmal zu hindern. Ihre Benommenheit hätte auf Trauer beruhen können.
»Riesenfreund Covenant«, sprach die Erste ihn an. »Sei mit dem, was du beginnst, auf der Hut! Ich habe die Suche in deine Hände gelegt. Wir dürfen nicht scheitern.«
Covenant beachtete sie nicht. »Ich bin bereit«, sagte er mit spröder Stimme zu Infelizitas. »Bringen wir's hinter uns!«
Ein Läuten scholl über den Hügel – ein Geschelle dringlichen Ersuchens oder des Widerspruchs. Diesmal konnte Linden die Herkunft feststellen. Es kam von Findail. Bedenke, Infelizitas, es ist mein Leben, das du aufs Spiel setzt! Wenn dieser Weg falsch ist, muß ich die Folgen tragen. Gibt es keine andere Möglichkeit?
Und Infelizitas bereitete Linden erneut eine Überraschung. »Sonnenkundige«, meinte die Elohim, als wolle sie ihrer Allgewalt entsagen, »was ist dein Wunsch? Wenn es dein Wille ist, werde ich den Ringträger abweisen.« Covenant stieß ein Fauchen aus, als zische er einen Fluch durch die Zähne; doch Infelizitas begnügte sich nicht damit, ihn in dieser Art und Weise zu übergehen. »Die Verantwortung jedoch müßte dir zufallen«, fügte sie unerbittlich hinzu. »Du hättest das Versprechen zu leisten, seinen Ring an dich zu nehmen, bevor er die Erde ins Verderben stürzt – Ringträger und Sonnenkundige in dir zu vereinen.« Covenant emanierte verzweifelten Zorn, den Infelizitas zu mißachten beliebte. »So du dich nicht mit diesem Versprechen binden magst, muß ich seine Bitte erfüllen.«
Ich danke dir, Infelizitas , kam ein irgendwie förmliches Läuten von Findail.
Aber Linden war zu durchschauen außerstande, worauf Findail Bezug nahm. Die Bedeutung von Infelizitas' Vorschlag brachte sie innerlich ins Schleudern. Darin lag eine noch stärkere Versuchung als in der Macht des Besitzergreifens: er bot ihr Macht, ohne sie mit den Gefahren der Finsternis zu konfrontieren. Covenants Verantwortung auf ihren Schultern? Nein, es dreht sich um mehr als das: die Verantwortung für die gesamte Suche, für das Überdauern der Erde, die Überwindung Lord Fouls. Hier bot man ihr eine Chance, wie sie Covenant vor sich selbst schützen konnte – wie sie ihm etwas zu ersparen vermochte, so wie er so oft darum bemüht gewesen war, ihr etwas zu ersparen. Doch da erkannte sie die verborgene Fußangel. Falls sie sich auf den Vorschlag einließ, hätte die Expedition keine Aussicht mehr, den Einholzbaum zu finden – es sei denn, sie täte, was zu tun sie sich bisher geweigert hatte: wenn sie in Covenants Geist eindringen würde, um Caer-Caverals verstecktes Wissen zu ergründen. Alles lief immer wieder darauf hinaus. Die Stärke ihrer unterdrückten Sehnsucht nach derartiger Macht verursachte Linden Übelkeit. Aber sie hatte ein solches Vorgehen bereits verworfen, hatte ihr ganzes Leben damit zugebracht, solche Dinge von sich zu weisen. Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann ihm nicht vorschreiben, was er tun soll«, sagte sie lasch, versuchte zu glauben, daß sie eine Entscheidung des Bejahens traf, sich selbst und Covenant gegen folgenschwere Versuchungen absicherte. Jedes Wort jedoch, das sie äußerte, klang nach nichts als wiederholter Verweigerung. Der Gedanke an Covenants Nöte griff ihr ans Herz. »Er muß seine eigenen Entschlüsse fassen.« Dann mußte sie die Arme um ihren Brustkorb
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