Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
musste Bordsteinkanten überwinden, also absteigen, mein Gefährt herunterheben, schieben, über die andere Kante hieven und wieder aufsteigen. Nicht viel später, ich wollte gerade beschleunigen, geschah es.
Ein kurzer Knall. Ein schleifendes Geräusch. Das rechte Pedal blieb hängen. Der Lenker drehte zur Seite. Ich sprang ab. Der rechte Packsack lag auf der Erde. Die hintere Klippmechanik hatte sich gelöst. Ein kleiner Bolzen war herausgesprungen. Eine winzige Feder hatte sich für immer verabschiedet. Auch ein Suchen mit der Lupe brachte sie nicht wieder zum Vorschein. Ohne diese Feder hielt die Klippmechanik nicht. Da stand ich nun nur wenige Kilometer von meinem Tagesziel entfernt und hatte schon wieder ein Problem.
Dabei hatte der Tag so schön begonnen. Auf guten Straßen, zwischen ungemähten Wiesen, neben bewaldeten Hügeln an kleinen Ortschaften vorbei war es gegangen; auf schmalen Brücken über die Lahn, die wie ein flacher norddeutscher Wiesenfluss vor sich hin trödelte und nur manchmal übermütig über ein paar Steine hüpfte, um zu zeigen, wie jung sie doch eigentlich war; einmal auch unter einem grünen Blätterdach auf einem Wirtschaftsweg durch ein Stück Auwald und immer war die Sonne mit von der Partie. Die wenigen Steigungen waren eher ein sportliches Vergnügen gewesen als eine Anstrengung. Eine echte Jubelstrecke, wie ich später solche Abschnitte meiner Fahrt nennen sollte.
Und nun hockte ich vor dieser blöden Tasche und zermarterte mein technisch unterentwickeltes Hirn nach einer Lösung zur Behebung dieses unerwarteten Schadens. Die fand sich dann in einem Stück Bindfaden, dass ich mühselig durch das Bolzenloch fädelte, um damit die Tasche am Gepäckträger mit vielen Knoten und noch mehr Hoffnung zu sichern.
Ich kam heil in Marburg an, wo ich an der jetzt breiteren und eiligeren Lahn entlang zum Campingplatz gelangte. Der Platz zog sich lang hin und war kilometerlang mit Wohnwagen besetzt. Am seinem Ende lag eine kreisrunde Zeltwiese. Sie füllte sich zusehends, während ich mein Zelt aufbaute. Die Leute kamen mit Autos oder Motorrädern und luden kistenweise Bier ab. Es würde heiß werden über Pfingsten hatte der Wetterdienst angekündigt.
Ich fuhr zum Einkaufen mit dem Fahrrad in die Stadt. Marburg gefiel mir. Schon der Weg zur Stadt zwischen Lahn Schwimmbad und Sportgelände bot immer wieder einem hübschen Blick durchs Buschwerk zum anderen Ufer auf romantische alte Häuser. Unterhalb der Altstadt fand ich in einer der modernen Einkaufstraßen einen gut ausgestatteten Supermarkt. Es dauerte einige Zeit, das Sortiment zu prüfen. Dabei fiel mir ein baumlanger Holländer auf, den ich wegen seines schlohweißen Haares und seines riesigen martialischen Schnauzbartes im Stillen den Oberst nannte. Natürlich war er mit dem Wohnwagen unterwegs. Auf dem Campingplatz sah ich ihn später vor einem Caravan sitzen und er erkannte mich auch.
In der Mitte der Zeltwiese stand ein Tisch mit zwei Bänken. Von dort aus konnte ich das Landgräfliche Schloss hoch über der Stadt sehen und dort wollte ich auch tafeln. Wem Übles widerfahren ist, hat eine gute Mahlzeit verdient. Es gab geräucherte Putenbrust, grünen Salat, Vollkornbrötchen und Radler aus der Dose. Später als die grünen Büsche, die den Platz zur Lahn hin begrenzten sich zu einer filigranen schwarzen Wand färbten, erleuchteten Scheinwerfer das Landgrafenschloss vor dem noch hellen Himmel. So ein Anblick, nach einem guten Essen, an einem lauen Sommerabend genossen, versöhnt nicht nur mit den Unzulänglichkeiten dieser Welt. Er macht glücklich.
Weniger glücklich machte mich in der Nacht die akustische Lage dieses optisch so ideal gelegenen Ortes. Ganz abgesehen von den bierseligen Nachbarn, die nicht zur Ruhe kamen, war die direkt neben dem Campingplatz verlaufende Bundesstraße in Richtung Gießen nicht gerade verkehrsarm und auf den gleich dahinter verlegten Geleisen donnerten unentwegt Güterzüge vorbei.
Achter Tag
Die Sonne schien. Ich wollte bleiben; das heißt - ich musste sogar bleiben. Es wäre zu gefährlich gewesen, mit der defekten Klippmechanik weiter zu fahren. Nicht auszudenken, was mit mir passiert wäre, wenn sich der Packsack bei großem Tempo gelöst hätte. Im Vertrauen auf einen glücklichen Zufall hing ich ihn mir über die Schulter und zog los.
In einer der engen, gemütlichen Gassen hinterm Stadion, lag Werkzeug in einem Schaufenster; daneben Kleinteile wie Schrauben,
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