Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
fahren.
»Das hilft gegen die Schmerzen,« erklärte er mir.
»Wirklich!« fügte er nachdrücklich noch hinzu, obwohl ich keinen Zweifel geäußert hatte.
In der Ferne bewölkte sich der Himmel. Ein leichter Wind kam auf. Die Blätter an den Büschen neben uns bequemten sich zu einem ersten schüchternen Rascheln.
Plötzlich verlangsamte er das Tempo.
»Eigentlich ... äh! ... eigentlich ...«
»Was?«
Eigentlich ist das da gar nicht der gute Campingplatz, der da vorne. Der gute Campingplatz ist auf der anderen Seite vom Main, beim Kanu-Verein.«
Das fällt dem guten Mann reichlich spät ein, dachte ich. Auf die andere Mainseite wollte ich auf gar keinen Fall zurück. Außerdem musste man sich in der Regel bei diesen von Vereinen betriebenen Plätzen vorher anmelden. Sonst konnte es passieren, dass gar niemand vor Ort war und der Zugang zu den Duschen versperrt. Also fragte ich:
»Was ist denn so schlecht da vorne?«
»Teuer, teuer!« Er stöhnte voll Mitgefühl.
Das konnte ich verstehen und bekam es am nächsten Tag auch zu spüren. Wir radelten schweigend weiter zwischen den jetzt munterer raschelnden Blättern der Bäume und Sträucher auf die dichter und dunkler werdenden Wolken zu, bis er abbremste und verlegen sagte: »Ich muss itzig umdrahn. Dia mögat mi net, die da.« Er zeigte mit ausgestrecktem Arm geradeaus, wobei unklar blieb, ob er die aufziehenden Wolken meinte, oder die geldgierigen Besitzer des Campingplatzes.
Er wendete sein Rad.
»Griaß Ihna God. Und kummad guad aah.«
Mit diesem frommen Wunsch machte er sich auf den Rückweg.
Der Campingplatz zeigte sich als großes gepflegt wirkendes Wiesengelände mit vereinzelten Bäumen und Büschen. Ich suchte mir einen Platz mit freiem Blick auf den Main. Dann machte ich mich trotz des sich immer mehr verdunkelnden Himmels auf den Weg in den Ort. Am Ende der Hauptstraße fand ich ein kleines Schreibwarengeschäft, in dem ich als Ersatz für mein aufgelöstes Notizbuch ein kleines Oktavheftchen erwarb, um wenigstens meine Tagesetappen festhalten zu können.
Dem Hinweis auf das über dem Ort thronende Kloster Engelberg wagte ich, wegen des beginnenden Donnergrollens, nicht zu folgen. Stattdessen versorgte ich mich bei einem Metzger mit frischem Leberkäse und Brötchen. Dann klingelte mein Handy und ich berichtete, mit Donnergrollen und dem Geläut der Klosterglocken im Hintergrund, über die letzten Ereignisse meiner Reise, brach das Gespräch aber ab um, vor den ersten dicken Tropfen zu meinem Zelt zu flüchten.
Der Himmel hatte beschlossen, die Landschaft einer gründlichen Reinigung, zu unterziehen. Er drehte die Dusche bis zum Anschlag auf, sodass die Bäume unter der Last der herabprasselnden Wassermassen erschrocken die Zweige an die Stämme legten. Mein Zelt aber hielt dicht. Auch durch den Boden drang das Wasser nicht mehr in gefährliche Bereiche vor, weil ich auf die glückliche Idee gekommen war, die mitgebrachte Plastikplane nicht unter das Zelt zu legen, sondern im Inneren auszubreiten. Also konnte ich mich meinem Leberkäse widmen und ein paar Sätze auf den Rekorder sprechen, die aber im Rauschen untergingen. Später konnte man nur noch ein erstauntes:
»Ja mei, haut`s da, was runter«, heraushören.
Irgendwann dachten die Götter an die Wasserrechnung und drehten den Hahn wieder zu. Ich machte mich erneut auf den Weg in den Ort. Straßen und Häuser glänzten blitzsauber im Licht der Abendsonne. Der Gehweg der Hauptstraße führte unter Arkaden hindurch. Dort hatte der Regen seine Reinigungskraft nicht ausüben können. Es gab Staub und Hundekot auf dem Pflaster und Graffiti an den Wänden. Unter diesen fand ich mit Filzstift auf den zerbröckelten, weiß übertünchten Putz geschrieben eine Liebeserklärung, die durch ihre Schlichtheit und verständnisvolle Innigkeit zu den bezauberndsten gehörte, die mir je vor Augen gekommen waren. Ich fotografierte sie.
Ziemlich am Ortsausgang traf ich auf ein grünes Schild, das mich zum Kloster Engelberg locken wollte. Diesmal gab ich ihm nach. Bald danach teilte mir ein braunes Schild mit, dass ich mich auf dem Eselsweg befände. Auf einem solchen befand ich mich wohl schon mein Leben lang, aber es war das erste Mal, dass man mich so direkt darauf hinwies, ja, es mir sogar schriftlich gab.
Dieser Weg hier war aber ein sehr schöner. Er führte unter hohen Bäumen den Berg hinauf, an einem grasbedeckten Höhenrücken und einer Ansammlung von Felsgestein vorbei, bis hinter die
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