Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
Klosterkirche. Dort verließ ich ihn. Der Eselsweg, ein alter, von Legenden umsponnener Handelsweg, verschwand im Wald hinter dem Höhenrücken. Ich befand mich alleine hier oben. Das Gewitter hatte alle Besucher vertrieben. Die Kirchentüre war geschlossen. Ich streunte ein wenig herum, entdeckte einen architektonisch korrekt im französischen Stil gehaltenen Blumengarten und bestaunte die terrassenartig angelegten 612 Stufen des Pilgerpfades die zum Ort hinunterführten, - oder, eigentlich, genau genommen, vom Ort herauf. Die Aussicht war grandios. Man konnte über die roten Dächer von Großheubach bis zum Main hinunterschauen. Der Himmel darüber war wieder blau und wolkenlos.
Die eigentlichen Klostergebäude lagen weitab der schönen Aussicht im Hintergrund der Szenerie und machten einen eher unscheinbaren Eindruck. Ich ignorierte sie und ging lieber zum hochgelegenen Vorplatz der Kirche. Dort stützte ich mich auf die steinerne Brüstung und genoss den weiten Blick in die Ferne.
Von Stille und Weite umgeben öffnet sich auch die Sicht ins eigene Innere. Ich entspannte mich und geriet in eine von der Welt losgelöste meditative Stimmung. Eine solche Stimmung macht offen für tiefe Einsichten. Auch für Einsichten religiöser Art. Das aber schien den heidnischen Göttern, deren Kultstätte sich zu Urzeiten hier bei den Felsen befunden hatte, lange bevor im 13. Jahrhundert eine kleine hölzerne Kapelle im Namen des hl. Michael errichtet worden war, nicht zu passen. Sie störten mich. Sie störten mich durch den Lärm eines aus Richtung der Klostergebäude herannahenden Motorrades und durch ein junges Pärchen in Lederklamotten und mit Motorradhelmen, das Hand in Hand herbei gestürmt kam. Sie lösten lachend die Kinnriemen der Helme und legten sie auf die Balustrade. Dann erstarrten sie. Das Lachen erstarb. Sie hatten mich entdeckt. Sie waren nicht alleine. Das Gesicht der jungen Frau unter den blonden Locken rötete sich. Der junge Mann trippelte verlegen auf der Stelle. In seinem Gesicht stand eine drohende Bitte: Du störst, stand da. Wir wollen hier allein sein. Ich habe etwas vor. Du störst. Du störst gewaltig.
Er blieb stumm. Aber seine Hände hoben sich zu einer ungeduldig flehenden Geste.
Ich verstand. Da war wieder einmal einer dabei, den ersten Schritt auf einem Eselsweg, zu tun.
Hoffentlich fand er die richtigen Worte. Die befanden sich auf dem Film in meiner Kamera, dachte ich, die könnten ihm jetzt nützlich sein. Sie lauteten:
Gib mir Deine Hand …
Gib mir Deine Hand, ich werde sie halten, wenn Du einsam bist,
Ich werde sie wärmen, wenn Dir kalt ist.
Ich werde sie streicheln, wenn Du traurig bist.
Und ich werde sie wieder loslassen,
Wenn Du frei sein willst!
by K.Z
Aber vielleicht passte ihm der letzte Satz auch gar nicht in den Kram. So überaus sensibel hatte er gar nicht ausgesehen. Ich verzog mich schweigend und überließ ihn seinem Schicksal. Der Himmel errötete schamhaft oder verlegen und dunkelte in die Nacht hinein, während ich mich daran machte, die Terrassen mit den 612 Stufen hinabzusteigen. Ein Weißbier wollte ich noch in der Gaststube des kleinen Hotels trinken, zu dem auch der Campingplatz gehörte. Ein Franziskaner Weizen vielleicht, weil ich gerade von einem Franziskanerkloster kam. 1631 war es gegründet worden; damals allerdings für den Kapuzinerorden. Erst 1820 übernahmen Franziskaner das Kloster und die Wallfahrtsseelsorge. 1899 hatte man die Kirche durch einen Anbau vollendet, was mir sehr gelungen schien.
In der Wirtsstube beim Campingplatz schob sich bald, nachdem ich mein Bier bekommen hatte, ein Gast neben mich auf die Bank. Ob ich der Mann sei, der sein kostbares Rad unbedingt mit aufs Hotelzimmer hätte nehmen wollen. Ich versicherte ihm, nicht dieser Mann zu sein, sondern der Mann, der im Zelt schlafen würde und dessen Rad danebenstehen würde.
Da wäre aber einmal einer gewesen, meinte er, der hätte das gewollt. Ob das nicht blöd wäre mit solch einem teuren Rad herumzufahren, dass man es aus lauter Angst es könne, einem gestohlen werden, mit aufs Zimmer nehmen wolle. Er könne sonst nicht schlafen, hätte der gesagt.
Ich versicherte ihm, dass ich das auch blöd fände. Darauf nickte er zufrieden.
Ein Rennrad wäre das gewesen, ergänzte er noch. Dann stellte er fest, dass er jetzt gehen müsse. Wegen der »Fraa«! Er trank hastig sein Bier aus und verschwand.
Ich schaute mich in der Gaststube um. In der Ecke an einem Einzeltisch saß eine
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