Der Einsatz
musste daher kommen, dass sie den ganzen Tag diesen Smog einatmeten. Der stieg ihnen zu Kopf, und dann glaubten sie, alles zu wissen.
35 Maschhad/Iran
Gemeinsam verließen die beiden jungen Wissenschaftler das Ardabil-Gelände. Von den Feldern ringsum wehte ein sanfter, spätnachmittäglicher Wind heran, der den Duft von Safran und den anderen exotischen Gewürzen der Region mit sich brachte. Auf der anderen Straßenseite verließen ganze Ströme von Studenten den Universitätscampus, junge Männer und junge Frauen in streng getrennten Grüppchen. Die jungen Frauen waren alle schlank und zierlich: Man konnte ihre Kurven erkennen, wenn die Windböen ihnen die langen Mäntel eng an Hüften und Brüste drückten. «Die Mädchen von Maschhad sind der Hammer», bemerkte Reza.
Karim ließ den Blick über die Straße schweifen, bis er den ramponierten Mitsubishi mit den goldenen Sammeltaxi-Verzierungen entdeckt hatte. Der Wagen fuhr ganz langsam auf sie zu und hielt dann in etwa fünfzig Metern Entfernung. Karim gab sich Mühe, nicht zu auffällig hinzusehen; so kurz vor dem Ziel durfte er nicht nachlassen. Er legte Reza den Arm um die Schultern, nicht in erster Linie aus Zuneigung, sondern um sich etwas näher an ihn zu binden, bis er seine Aufgabe erfüllt hatte.
Rezas Wagen stand auf dem Parkplatz gleich neben dem Ardabil-Gelände. Es war ein nagelneuer Peugeuot – keine iranische Imitation, sondern ein echtes französisches Modell. Vermutlich eine Anerkennung von allerhöchster Stelle. Im Lauf der Jahre hatte man auch Karim diverse Autos angeboten und dazu noch Ferienwohnungen an der kaspischen Küste und spezielle Genehmigungen zum Import von Unterhaltungselektronik, doch er hatte immer abgelehnt. Das war mit ein Grund, weshalb er bei Tohid so großes Vertrauen genoss:Er war in erster Linie Wissenschaftler und hatte seine Stelle nicht wegen der damit verbundenen Vergünstigungen angenommen, sondern wegen der intellektuellen Herausforderung.
Reza fuhr nach Süden zum Restaurant Seidenstraße, wo er einen Tisch reserviert hatte. Das Restaurant gehörte zum Hotel Homa und befand sich mitten im Zentrum von Maschhad. Auf den Straßen staute sich bereits der Feierabendverkehr, der allerdings in die andere Richtung, zu den Vororten strebte. Karim sagte nicht viel, und Reza schob eine Kassette in die Radioanlage. Gleich darauf erfüllten die harten Rhythmen von Snoop Dogg den Wagen. Reza drehte den Bass hoch und bewegte den Kopf, so wie er glaubte, dass es ein echter Rapper machen würde. Und jedes Mal, wenn in einem Song das Wort «Motherfucker» fiel, wiederholte Reza es lauthals, weil er es so cool fand.
Hinter ihnen fuhr der kleine Mitsubishi Transporter aus Sarakhs mit den drei Pilgern an Bord. Wegen des zähfließenden Verkehrs musste er immer wieder anhalten, und der Fahrer beschimpfte auf Turkmenisch die gemeingefährlichen Perser am Steuer der anderen Wagen. Seine Passagiere waren anscheinend ebenfalls auf dem Weg ins Zentrum und wollten zweifellos zum Pilger-Heiligtum des
haram-e-mot-abhar
.
Vor dem Forschungszentrum Ardabil hatte noch ein dritter Wagen gewartet, ein schwarzer Paykan, der für den Tag vom Hotel Iran gemietet worden war. Mancher Fahrgast, der mit dem Nachtexpress aus Teheran gekommen war, hätte denFahrer wohl gleich wiedererkannt: Er hatte die ganze Nacht vor einem Erste-Klasse-Abteil Wache gehalten und sich keine Sekunde vom Fleck bewegt.
Im Fonds des Paykan saßen Al-Majnoun und Mehdi Esfahani. Beide waren bewaffnet. Mehdi, der Schweigen nur schlecht ertragen konnte, versuchte hin und wieder, ein Gespräch anzufangen, doch sein Begleiter ging nicht darauf ein. In seinem Gesicht regte sich nichts, während er den Blick unverwandt auf das Pförtnerhaus des Labors gerichtet hielt.
Als er die beiden jungen Wissenschaftler aus dem Tor treten sah, befahl Al-Majnoun dem Fahrer, ihnen in sicherem Abstand zu folgen. Mehdi warf einen Blick aus dem Fenster und zog dann gleich wieder den Kopf zurück.
«Der junge Molavi!», verkündete er im strengen Ton des Strafverfolgers. «Das habe ich doch die ganze Zeit gewusst. Dieser Verräter. Dieses Schwein.
Coondeh!
» Der letzte Ausruf, mit besonders viel Abscheu geäußert, war ein Schimpfwort für Homosexuelle. «Wer ist der andere?»
Al-Majnoun gab keine Antwort. Er zog eine der beiden Pistolen aus seiner schwarzen Aktentasche und versah sie mit einem Schalldämpfer. Dann schob er sie in den Gürtel und lehnte sich weit in seinem Sitz zurück,
Weitere Kostenlose Bücher