Der Einsatz
wüsste er, wie man damit umging. Das Betäubungsgas hatte sich bereits wieder verflüchtigt. Al-Majnoun zog sich die Gasmaske vom Gesicht, dann nahm er Jackie die Maschinenpistole aus der Hand und gab ihr eine Ohrfeige.
«Aufwachen, Engländerin», sagte er auf Englisch zu ihr und ohrfeigte sie dann noch einmal.
Karim fühlte sich wie benebelt. Er machte einen schwachen Versuch, sich aufzurappeln und der Frau beizustehen, die er immer noch als seine Beschützerin betrachtete, doch Al-Majnoun stieß ihn auf das Sofa zurück.
«Bleib liegen», sagte er. «Du bist mein Gefangener.» Dann rief er Mehdi herein. Der Iraner näherte sich nur zögernd und betrachtete mit großen Augen das Gemetzel in dem kleinen Zimmer: zwei Tote, zwei wehrlose Gefangene.
Al-Majnoun hatte inzwischen die zweite Pistole aus derTasche gezogen. Sein Gesicht zuckte und bebte, als wären die vielen Narben plötzlich wie Würmer zum Leben erwacht, und der Ausdruck in seinen Augen bewies, dass er zu Recht «der Wahnsinnige» genannt wurde und noch mehr Zerstörung säen würde, ehe er sich am Ziel sah. Mehdi erkannte, dass der Mann nicht nur ein bisschen verrückt, sondern völlig von Sinnen war.
«Lassen Sie den Jungen am Leben», rief er. «Wir brauchen seine Aussage. Wir müssen ihn verhören.»
Al-Majnoun drehte sich zu Mehdi um, und das Grinsen auf seinem Gesicht glich nur noch einer grauenvollen Fratze aus einem Horrorfilm. Er richtete seine Waffe auf Mehdi Esfahani, und der iranische Ermittler verspürte mit einem Mal nackte Angst. Jetzt, viel zu spät, ging ihm auf, dass hier ein ganz anderes Spiel gespielt wurde, als er geglaubt hatte.
«Was haben Sie vor, Al-Majnoun?», schrie er. «Al-Majnoun, ich flehe Sie an!»
Doch bevor er noch ein weiteres Wort hervorbrachte, hatte der Killer bereits abgedrückt.
«Du hast alles falsch verstanden», sagte der Wahnsinnige und sprach damit ein posthumes Urteil über sein Opfer. Und Mehdi Esfahani sackte zu Boden wie ein Anzug, der unversehens vom Bügel gefallen ist.
Al-Majnoun wischte die erste Pistole ab, mit der er draußen Hakim und den turkmenischen Fahrer und drinnen im Haus Marwan getötet hatte, dann gab er die Waffe dem leblosen Mehdi in die Hand und legte seinen schlaffen Finger umden Abzug. Die zweite Pistole, mit der er Mehdi erschossen hatte, drückte er Marwan in die Hand. Die leere Gasgranate hob er auf und steckte sie in die Tasche. Anschließend sah er sich ein letztes Mal im Zimmer um, um sich zu überzeugen, dass die Szene auch genau so auf die iranischen Ermittlungsbehörden wirken würde, wie er das beabsichtigte.
Jackie tastete am Boden nach einer Scherbe oder irgendetwas anderem, womit sie sich die Pulsadern aufschneiden, das sie sich ins Herz rammen konnte. Einen anderen Gedanken konnte sie nicht mehr fassen. Sie durfte nicht als Gefangene enden. Sie hatte Befehl zu schweigen und würde dem auch Folge leisten. Doch Al-Majnoun bemerkte offenbar, was sie vorhatte, und schlug ihr erneut ins Gesicht. Dann riss er ihr mit einer raschen Bewegung beide Hände auf den Rücken, fesselte sie mit einer Drahtschlinge und setzte seine Begutachtung des Schauplatzes fort. Karim saß währenddessen auf dem Sofa und wandte keinen Blick von seinem toten Freund.
«Was haben Sie mit uns vor?», fragte Jackie leise. Ihr blieben nur noch Worte, um zu verhandeln, zu provozieren – oder zumindest zu begreifen.
«Ich lasse euch gehen», antwortete Al-Majnoun.
«Das verstehe ich nicht.»
«Natürlich nicht. Das sollst du ja auch gar nicht.»
Jackie musterte den Libanesen. Sein Gesicht sah aus wie aus lauter alten Fahndungsfotos zusammengesetzt: aus Fetzen von Phantombildern, die beim besten Willen nicht zueinander passen wollten. Ihre Ausbildung hatte sie auf allesMögliche vorbereitet, doch nicht auf so etwas. Sie wollte begreifen, was davon real war, was hinter dieser rätselhaften und völlig unvorhergesehenen Entwicklung der Dinge stand.
«Und wie sollen wir gehen?», fragte sie.
«Unten steht ein schwarzer Wagen. Mein Fahrer erwartet euch schon. Er wird euch zur Grenze bringen. Aber nicht nach Sarakhs, wo ihr ins Land gekommen sind. Dort sucht man bestimmt schon nach euch. Er bringt euch nach Kalat, im Norden, keine hundert Kilometer von hier. Hast du eine Kommunikationsmöglichkeit?»
«Ja», sagte Jackie.
«Dann nutze sie. Sobald ihr im Wagen seid, rufst du deine Leute an. Sag ihnen, wo ihr über die Grenze kommen werdet. Sie sollen auf der anderen Seite auf euch
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