Der Einsatz
warten. Es ist kein offizieller Grenzübergang, aber die Schmuggler wissen, wo er ist. Mein Fahrer bringt euch hinüber. Er ist bewaffnet. Wenn man versucht, ihn aufzuhalten, wird er schießen. Und wenn ihr kein ganz großes Pech habt, bleibt ihr am Leben.»
«Wer sind Sie?», fragte Jackie. «Der Mann dort hat Sie ‹Al-Majnoun› genannt.»
Der Killer zuckte zusammen. Ein Mann ohne Gesicht wollte auch keine Identität.
«Er hat gelogen. Ich habe keinen Namen, weil es mich nicht gibt. Ich hätte dich und den Jungen töten können, aber ich schenke euch das Leben. Es ist Zeit für euch zu gehen.»
Er löste ihre Handfesseln, dann schob er sie und Karim Molavi aus dem Haus, nach draußen, wo das Auto wartete. Sie hatten keine andere Wahl, als zu tun, was er ihnen sagte. Wenn sie hierblieben, würden sie mit Sicherheit sterben.Wenn sie aber in den Wagen stiegen, wie dieser Verrückte es ihnen sagte, blieben sie vielleicht am Leben. Sie näherten sich dem Mitsubishi, und Jackie konnte den Anblick des toten Hakim kaum ertragen. Die Blutlache, in der er lag, war bereits geronnen. Fliegen wimmelten in der Kopfwunde und taten sich an Blut und Gehirnmasse gütlich.
Im Transporter hatte das Blut des bedauernswerten Fahrers das kleine Kelimkissen durchtränkt, das als Polster auf seinem Sitz lag, und im hinteren Teil des Wagens eine große Lache gebildet. Jackie machte Anstalten, alle Gegenstände herauszuholen, die sie und die beiden anderen als britische Agenten ausweisen konnten, doch Al-Majnoun zog sie beiseite. Als sie sich wehren wollte, richtete er seine Waffe nicht auf sie, sondern auf Karim. Da gab sie nach.
«Ich verschone euch», sagte der Libanese. «Ich will, dass ihr entkommt.»
«Aber warum?», fragte Jackie.
Al-Majnoun gab keine Antwort.
Sie stiegen auf den Rücksitz des Paykan. Al-Majnoun wechselte ein paar Worte mit dem Fahrer und schärfte ihm ein, dass seine einzige Mission nun darin bestand, die beiden Passagiere heil über die Grenze zu bringen. Dann schlug er die Autotüren zu. Der Wagen wendete in der schmalen Einfahrt und fuhr ohne Licht davon.
Der Wahnsinnige begutachtete ein letztes Mal die blutige Szenerie im Haus und tätigte dann einen Anruf. Zehn Minuten später stand ein Wagen vor der Tür, und Al-Majnoun ließ sich erschöpft auf den Rücksitz fallen. Er griff in die schwarze Tasche und zog seine Opiumpfeife hervor. Dann füllte er sie mit einem Klümpchen Opium, zündete sie mitdem Feuerzeug an und sog den Rauch in die Lungen, in die Blutbahn, in den Kopf. Der Wagen verschwand in der Nacht, und Al-Majnoun schwebte davon an einen Ort, wo er weder einen Namen hatte noch eine Mission zu erfüllen.
36 Kalat/Iran
Der schwarze Wagen rumpelte Richtung Norden, durch ein langgezogenes Tal bis nach Kalat hinauf. Der Mond, der inzwischen voll am Himmel stand, tauchte die Landschaft in sein elfenbeinfarbenes Dämmerlicht. Über den hügeligen Straßen und den steinigen Berggipfeln tanzten die Wolkenschatten. Karim war eingeschlafen, und Jackie ihrerseits tat ihr Bestes, um wach zu bleiben. Sie hatte sich das schwarzgefärbte Haar gekämmt und den Tschador übers Gesicht gezogen. Unter dem schwarzen Gewand zitterte und zuckte sie am ganzen Körper, wie eine Motte, die mit einer Nadel aufgespießt wird. Auf der Straße waren ein paar andere Autos unterwegs, anscheinend aber keine Polizei. Doch irgendwer aus der Nachbarschaft in Maschhad hatte sicher inzwischen die Behörden verständigt, der Lärm im Haus war einfach zu groß gewesen. Und sobald der Polizei klarwurde, was die vielen Toten zu bedeuten hatten, würde eine verzweifelte Verfolgungsjagd beginnen. Aber vielleicht waren sie bis dahin ja bereits über die Grenze.
Nach halbstündiger Fahrt zog Jackie ihr Satellitentelefon hervor und rief bei der Einsatzzentrale in London an, die den Anruf zu Adrian nach Sarakhs durchstellte.
«Wir kommen raus», sagte Jackie zu ihm, die Stimmeausdruckslos vor Erschöpfung. «Nicht an der Stelle, wo wir reingekommen sind, sondern in der Nähe von Kalat, genau nördlich von Maschhad, oben in den Bergen. Es ist kein offizieller Grenzübergang, aber wir werden uns schon durchschlagen. Wartet dort auf uns.»
«Liebste», sagte Adrian, den der Anruf aus dem Tiefschlaf gerissen hatte. Eigentlich hätte er so etwas nicht sagen sollen, doch er konnte nicht anders.
«Hör auf damit. Hast du verstanden, wo wir rauskommen?»
«In Kalat», wiederholte er. «Wann?»
«Das weiß ich nicht. Vermutlich kurz vor
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