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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Morgengrauen.» Man hörte ihr die Müdigkeit und die Verzweiflung deutlich an.
    «Ist alles in Ordnung?»
    «Nein. Ich habe zwei Männer verloren.»
    «Tot?»
    «Ja.»
    Adrian stöhnte auf. «Das tut mir leid.»
    «Aber der Junge ist noch am Leben. Ich habe ihn hier bei mir.»
    «Hat es geklappt? Mit dem Gerät?»
    «Das weiß ich nicht. Ich weiß gar nichts. Es ist alles schiefgelaufen.»
    «Aber dir geht es gut?»
    «Verdammt, Adrian, was läuft hier eigentlich? Wer zum Teufel ist Al-Majnoun?»
    Adrian hatte die Frage nicht ganz verstanden und bat sie, sie noch einmal zu wiederholen. Jackie sagte ein paar Worte, dann hielt sie inne. Sie hatte bereits viel zu lange geredet.Die Verbindung war nicht sicher, und selbst wenn Adrian die Wahrheit wusste, blieb ihm jetzt keine Zeit, ihr alles zu erklären. So wiederholte sie nur noch einmal den Ortsnamen Kalat und beendete dann das Gespräch.
     
    Sie fuhren weiter bergauf, bis sie schließlich nach Kalat kamen. Die Stadt war von Felswänden umgeben, die wie eine natürliche Festung wirkten. Der Legende nach hatten sich hier einst die Streitkräfte des persischen Kriegers Schah Nadir verschanzt, um den Horden des turkmenischen Eroberers Tamerlan zu entkommen. Der Fahrer fuhr langsamer, suchte nach dem Weg.
    Ein rosiger Schein hinter den Gipfeln im Osten kündete davon, dass der Morgen anbrach. Jackie weckte Karim. Als er die Augen geöffnet und sich wieder zurechtgefunden hatte, zog ein Ausdruck tiefer Trauer über sein Gesicht.
    «Was ist mit uns geschehen?», fragte er. «Weshalb mussten so viele Leute sterben? Wer war dieser Mann? Und warum sind wir noch am Leben?» Er war noch zu schlaftrunken, um seine Gefühle zu verbergen.
    «Ich weiß es nicht», antwortete Jackie. «Im Augenblick will ich Sie vor allem hier rausbringen. Nur so können wir dafür sorgen, dass das alles doch noch zu etwas gut war. Ich muss Sie also bitten, mir noch ein Weilchen zu vertrauen, obwohl ich das nicht verdient habe.»
    Sie durchquerten das Zentrum der kleinen Stadt und passierten das Polizeirevier, dessen Fenster hell erleuchtet waren. Weshalb waren die schon so früh auf den Beinen? Der Fahrer unterdrückte einen Fluch auf Farsi – der ersteTon, den er auf der ganzen Fahrt von sich gegeben hatte. Vor ihnen, am Ende einer schmalen Straße, die sich zwischen den Bergen hindurchschlängelte, lag die Grenze. Der Fahrer passierte die vom Fels umschlossenen Häuser, die die Straße säumten und deren Bewohner langsam den Tag begannen. Von der Moschee am nördlichen Stadtrand ertönte der blechern verstärkte Ruf zum
fajr
, dem ersten Morgengebet.
    Plötzlich trat der Fahrer abrupt auf die Bremse. Keine hundert Meter vor ihnen war an der Hauptstraße eine Straßensperre aus Polizeiwagen errichtet worden. Die Polizisten selbst sah man nur als Umrisse im ersten Morgenlicht, doch die Sperre ging über die gesamte Breite der Straße. Der Fahrer fluchte erneut, dann setzte er dreißig Meter zurück bis zu einer Kreuzung und nahm die Abzweigung nach links. Die Straße war schmal und nur teilweise asphaltiert, und der Paykan ruckelte und holperte über die unebene Fahrbahn. Er wollte weiter bergauf, zu den Schmugglerpfaden, die er sich fest eingeprägt hatte.
    Jackie schaute nach rechts. Inzwischen waren sie fast auf einer Höhe mit der Straßensperre. Sie hoffte inständig, dass die Polizisten den Wagen auf der Seitenstraße nicht beachten würden. Vielleicht kamen sie ja unbehelligt vorbei? Doch im nächsten Moment hörte sie eine Sirene und sah, dass sich ein Polizeiwagen aus der Sperrlinie gelöst hatte. Ein zweiter folgte ihm.
    «Schneller, du Mistkerl», brüllte Jackie den Fahrer an, doch der hätte die Aufforderung gar nicht gebraucht. Er trat aufs Gas und jagte den Wagen den steilen Hang hinauf. In einer Kurve geriet er etwas ins Schleudern, doch abgesehen davon behielt er die Kontrolle über sein Fahrzeug. Die beidenPolizeiwagen waren jetzt direkt hinter ihnen. Es waren zwei Mercedes, größer und schneller als der Paykan. Alle zwanzig Sekunden kamen sie ihnen gut zehn Meter näher.
    Nach ein paar weiteren engen Kurven war der Paykan fast auf dem Gipfel angekommen. Die Grenze musste direkt vor ihnen liegen, und Jackie hoffte inständig, dass die Straße dort nicht abrupt endete, sonst waren sie gleich an Ort und Stelle geliefert. Doch der Fahrer schien zu wissen, was er tat. Er sprach inzwischen mit sich selbst, trieb sich mit abgehackten Wortfetzen auf Farsi an. Sie überquerten den

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