Der Einsatz
Vater hatte ihn schließlich vor Spionen gewarnt, und als Eva mehrmals versucht hatte, wieder mit ihm in Kontakt zu treten, war er unter anderem auch aus diesem Grund nicht darauf eingegangen. Es war die Wahrheit, und so blieb der junge Wissenschaftler innerlich ganz ruhig, als er sie erzählte.
Der Beamte stellte noch viele Fragen, obwohl er die Antworten darauf bereits zu kennen schien. Mit der Zeit wurde es immer offensichtlicher, dass er eigentlich nur herausfinden wollte, ob der junge Mann log. Der Maulwurf beim Bundesnachrichtendienst, wer immer er auch sein mochte, musste ihm doch gesagt haben, dass Evas Kontakte mit dem jungen Iraner im Max-Planck-Institut zu nichts geführt hatten. Nun wollte er sich selbst davon überzeugen, dass das auch wirklich stimmte.
Nach einem neuerlichen Schwung Fragen über Evas Versuche,den Kontakt wiederherzustellen, legte Esfahani eine Pause ein.
«Woran merkt man, dass man ein Redneck ist?», fragte er dann.
«Tut mir sehr leid, Bruder Inspektor, aber das weiß ich nicht.»
«Daran, dass man dasselbe Messer verwendet, um Bullen zu kastrieren und Äpfel zu schälen.»
Der junge Mann starrte den Beamten fassungslos an, dann quälte er sich ein bemühtes Lächeln ab.
«Keinen Sinn für Humor», sagte der Inspektor. «Was sind Sie nur für eine traurige Gestalt. Das ist das Einzige, was Sie verdächtig macht. Ein normaler junger Mann hat ein Privatleben. In Ihrem Alter wäre er längst verheiratet. Und er wäre nicht so vorsichtig wie Sie. Ich verstehe Sie wirklich nicht. Wovor haben Sie denn bloß Angst? Warum fangen Sie nicht endlich an zu leben?»
Als der junge Mann am Nachmittag in seine Wohnung in Jusef Abad zurückkehrte, war er fast schon übermütig. Er fühlte sich seltsam unverwundbar, wie jemand, der einen Schuss aus geringer Entfernung überlebt hat. Seine Zeit war noch nicht abgelaufen, dachte er schicksalsergeben, sonst hätte er bei dem Verhör Panik bekommen und sein wahres Verbrechen gestanden. Oder er hätte eine Lüge erzählt, die leicht zu durchschauen war. Wenn seine Zeit abgelaufen wäre, hätte er diese Nacht im Gefängnis verbracht.
Es war Gottes Wille, dass er nicht verhaftet wurde. Sie waren auf ihn aufmerksam geworden, aber sie hatten nichtsgefunden, und damit war er ab jetzt für sie praktisch unsichtbar. Nun konnte er dem kleinen Stein, den er in den Teich geworfen hatte, einen größeren folgen lassen.
Am späten Nachmittag bekam Mehdi Esfahani Besuch von einem Mann, der von den wenigen Iranern, die überhaupt etwas von seiner Existenz wussten, hin und wieder
Al-Sadiq
, der Freund, öfter aber
Al-Majnoun
, der Wahnsinnige, genannt wurde. In Wirklichkeit hieß er Badr oder Sadr oder ganz anders, das wusste niemand so genau. Mehdi Esfahani war ein mächtiger Mann im Geheimdienst der Revolutionsgarden und fürchtete sich nur vor ganz wenigen Menschen. Al-Majnoun gehörte dazu.
Al-Majnoun war ein Schiit aus dem Libanon, der Mitte der achtziger Jahre von Beirut nach Teheran gekommen war. Man erzählte sich, er sei an der Entführung des Beiruter CI A-Chefs im Jahr 1984 beteiligt gewesen und hätte deshalb im Iran untertauchen müssen. Seitdem lebte er in Teheran unter dem Schutz eines Flügels der Revolutionsgarden und operierte unter der Hand und jenseits aller offiziellen Kontrolle mal für die Garden, mal für die Geheimpolizei. Er war ein einsamer Wolf, der schwierige Aufträge im In- und Ausland übernahm und einen weiten Aktionsradius besaß. Wenn jemand aus den offiziellen Diensten Fragen über seine Missionen stellte oder gar seine Arbeitsmethoden kritisierte, musste er das bitterlich bereuen. In zwei Fällen, die nicht einmal den obersten Kreisen vollständig bekannt waren, hatten diese Fragensteller ihre Neugier sogar mit dem Leben bezahlt.
Aus diesem Grund hatten viele Angst vor «dem Wahnsinnigen». Es war klar, dass er von höchster Seite protegiert wurde, und manche flüsterten sogar hinter vorgehaltener Hand, er sei der persönliche Sicherheitsberater des Obersten Religionsführers und habe sich ausschließlich diesem gegenüber zu verantworten. Angeblich trafen sich die beiden regelmäßig und lasen sich im Palast des Obersten Führers, auf weiche Kissen gebettet, gegenseitig persische und arabische Gedichte vor. Doch niemand wusste Genaueres über Al-Majnoun. Gerade das war ja das Problematische. Und deshalb bekam auch Mehdi es sofort mit der Angst zu tun, als Al-Majnoun an diesem späten Nachmittag in sein Büro trat,
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