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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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jemand fragt, was wir tun, dann lügen wir. Jedes Mal, wenn wir in ein Flugzeug steigen, haben wir einen anderen Pass. Wir kommen mehrmals mit unterschiedlichen Identitäten ins selbe Hotel und können nur hoffen, dass sich der Portier unser Gesicht nicht gemerkt hat. Wir bringen andere Menschen dazu, schlimme Dinge zu tun, richtig üble Dinge, und reden uns dabei ein, das müsste so sein, weil es einem höheren Zweck dient. Falls wir überhaupt noch einen Funken Schuldgefühl empfinden! Aber das legt sich auch irgendwann. Ich wüsste nicht einmal mehr, was ich einer Frau sagen sollte, wenn ich dabei meinen richtigen Namen benutzen müsste, Harry. Ich würde keinen mehr hochkriegen.»
    «Geh zurück zu Susan. Sie kennt dich.»
    Doch Adrian hörte gar nicht zu. Er wollte Harry, seinem einzigen, wahren Freund, all das erzählen, was er niemals jemand anderem sagen konnte, nicht einmal im «Haus der Lügen», dem SIS, selbst. Er nahm einen weiteren großen Schluck von seinem Whisky und beugte sich über den Tisch zu Harry herüber.
    «Und das ist leider noch gar nicht alles», flüsterte er. «Ich bin korrupt, mein Freund. Wenn du so willst, brauchte ich Geld, um meinen Lebensstil zu finanzieren. Also habe ich es mir genommen. Das erste Mal im Nahen Osten, kurz nachdem wir Moskau verlassen hatten. Ich sollte einen syrischen Agenten in Zypern treffen und ihm Geld geben. Zweihundertfünfzigtausend Pfund. Der Mann war ein habgieriges Arschloch, das immer mehr von uns verlangte, und ich hatte mich immer schon gefragt, warum wir es ihm eigentlich bezahlen.»
    «Also   … also   …» Er trank wieder von seinem Whisky. «Ich hatte den Mann gerade übernommen und wusste nicht viel über ihn, verstehst du? Als er in das sichere Haus kam, wies er mich mit einer Art Pantomime an, die Abhöranlage abzuschalten. Der Kerl wusste genau, was gespielt wurde. Ich tat, was er wollte, öffnete den Aktenkoffer und zeigte ihm sein Geld. Und da sagte er: ‹Na los, nehmen Sie sich Ihren Anteil.› Einfach so. Das hatte sein voriger Führungsoffizier schon so praktiziert, und er ging davon aus, dass ich es genauso machen würde. Ich fragte ihn, wie viel mein Vorgänger denn bekommen habe, und er sagte: ‹Zwanzig Prozent.› Und ich dachte mir: Bingo! Das waren fünfzigtausend Pfund, damit hätte man sich damals in London schon fast eine Wohnung kaufen können. Also nahm ich es.»
    «Jeder baut irgendwann mal Mist», sagte Harry. «In unserem Geschäft lässt sich das gar nicht vermeiden.»
    «Aber das ist keine Kleinigkeit, Harry. Im Lauf der Jahre ist da sehr viel Geld zusammengekommen. Ich musste schließlich Frauen, Wohnungen und Abtreibungen bezahlen, Schulgebühren für meine Töchter und eine Brustvergrößerung für Susan, als sie mich noch zurückgewinnen wollte.»
    «Und niemand beim SIS weiß davon?»
    «Klar wissen sie es. Keine Einzelheiten natürlich. Aber wir sitzen doch alle im selben Boot. Wir reichen die Agenten weiter, von Führungsoffizier zu Führungsoffizier. Wir wissen, dass wir uns alle bedienen, aber niemand sagt etwas. Das ist die
Omertá
des SIS, der wahre Grund, weshalb wir alle Brüder sind, alter Junge. Jeder von uns hat den anderen in der Hand, und jeder profitiert von der Korruption. Ich werde wohl nach Sir David der nächste Leiter des SIS werden, jedenfalls sagen das alle. Und weißt du, warum?»
    «Weil du ein guter Geheimagent bist.»
    «Blödsinn, Harry. Weil ich einer von ihnen bin und nicht alles auffliegen lassen kann, weil ich selbst mit drinhänge. Jetzt, wo ich geschieden bin, mögen sie mich sogar noch lieber, weil sie nicht befürchten müssen, dass Susan mich auf den rechten Weg zurückbringt. Ich bin ein krummer Hund, Harry, und du bist zu anständig, um das zu bemerken. Deshalb mag ich dich ja so, und die meisten anderen mögen dich nicht. Wie soll man auch jemandem vertrauen, der ehrlich ist?»
     
    Am nächsten Morgen, als Harry gerade zum Flughafen aufbrechen wollte, rief Adrian ihn im Hotel an. Seine Stimme hatte einen geschäftsmäßigen Tonfall, als wollte er damit die Vertraulichkeit vom Abend zuvor kompensieren. Adrian musste einen schlimmen Kater haben, aber man merkte ihm nichts davon an. Das war eine weitere Fähigkeit der Briten: Sie konnten abends saufen wie die Löcher und waren am nächsten Morgen wieder wie aus dem Ei gepellt.
    «Könntest du vielleicht noch einen Tag in London bleiben, alter Junge?», sagte Adrian. «Ich würde dich gern jemandem vorstellen. Es handelt sich

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