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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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nicht mehr heraushelfen kann.»
     
    Am Abend vor dem Abflug ging Harry noch einmal ins Zimmer seiner Tochter. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seinen Kindern einen Abschiedskuss zu geben, bevor er zu weiteren Reisen aufbrach. In diesem Punkt war er abergläubisch; man wusste schließlich nie, welche Reise die letzte war. Eigentlich hatte er erwartet, dass seine Tochter so muffig und kurz angebunden sein würde wie häufig in letzter Zeit, aber an diesem Abend war sie anders. Als er die Tür öffnete, saß Lulu mit Kopfhörern vor ihrem Laptop und schaute sich auf Facebook die Seiten ihrer Freunde an. Als sie ihn sah, klappte sie den Computer zu, nahm die Kopfhörer ab und sagte fröhlich: «Hallo, Daddy!»
    «Ich muss für ein paar Tage wegfahren», sagte Harry. «Da wollte ich dir noch einen Abschiedskuss geben.»
    Sie stand auf und streckte die Arme aus. Lulu fragte ihn niemals, wohin er fuhr. Auch Andrea tat das nicht. Das war Teil ihres Familienabkommens.
    Harry gab seiner Tochter einen Kuss auf die Wange und hielt sie länger in den Armen, als er beabsichtigt hatte. Ihr Kopf fühlte sich genauso klein an wie damals, als sie noch ein Baby war.
    «Du wirkst irgendwie traurig, Daddy», sagte sie.
    Harry löste sich wieder von ihr. Er wollte nicht, dass sie ihm etwas anmerkte.
    «Das bin ich wohl auch.» Er hielt kurz inne. «Ihr fehlt mir, wenn ich fort bin, deine Mutter und du.» Normalerweise hätte er jetzt aufgehört, aber irgendetwas ließ ihn weitersprechen. «Manchmal fehlt ihr mir auch, wenn ich zu Hause bin. Ich habe nie genug Zeit für euch. Dir das zu sagen fällt mir nicht leicht.»
    «Wir wissen doch, wie hart du arbeiten musst, Daddy. Und wir wissen auch, dass deine Arbeit wichtig ist.»
    «Es gibt für mich nichts Wichtigeres als euch beide, Louise.»
    Sie lächelte zu ihm auf, und ihre Miene war fast so mitfühlend wie die von Andrea, wenn sie seinen Blicken ausnahmsweise einmal nicht auswich.
    «Sei nicht traurig, Daddy», sagte Lulu. «Wir haben dich doch lieb.»
     
    Das Flugzeug der United Airlines kam so früh in London an, dass Harry bis zu seinem Termin bei Adrian noch über eine Stunde Zeit blieb. Er ließ sich von einem Taxi in die Innenstadt bringen und machte einen Spaziergang an der Themse entlang. London war noch nicht richtig wach, und bis auf ein paar Lieferwagen waren die Straßen praktisch leer. Direkt unterhalb von Whitehall schlenderte er den Victoria-Damm entlang, bevor er dann über die Waterloo Bridge in Richtung Royal Festival Hall ging. Das schmucklose Betongebäude war ein Beispiel für die englische Architektur nach dem Zerfall des Empire, als Maggie Thatcher mit der Abrissbirne das alte London plattgemacht hatte.
    Harry ging weiter am Südufer entlang, vorbei am Century House, in dem der SIS vor dem Umzug nach Vauxhall Cross seine Zentrale gehabt hatte. Wie oft hatte er dieses Gebäude in den ganzen Jahren besucht? Dutzende von Malen, vielleicht auch öfter. Die Briten waren zwar der Juniorpartner der USA, aber Höflichkeitsbesuche gehörten nun mal zum Geschäft, und Harry hatte diese Treffen eigentlich immer mit dem Gefühl verlassen, dass die Engländer für dieses Spiel sehr viel geeigneter waren als die Amerikaner. Sie mochten zwar nicht besser darin sein, Geheimnisse zu bewahren, aber dafür konnten sie sehr viel besser lügen.
     
    Als Harry in Vauxhall Cross ankam, wartete Winkler bereits auf ihn. Er hatte eine sichere Videoverbindung mit der Botschaft in Teheran hergestellt, damit Harry direkt mit dem dortigen Bürochef sprechen konnte. Auf einem Bildschirm sah man das Gesicht des SI S-Agenten in Teheran, der sich fürden Anlass die blonden Haare sorgfältig gekämmt und eine Krawatte umgebunden hatte. Er sah sehr jung aus, aber so war das nun mal bei den Briten: Sie fingen früh an und hörten früh auf. Winkler stellte ihn als Robin Austen-Smith vor, bat Harry aber, den Namen während des Gesprächs nicht zu benutzen.
    «Hallo, Teheran», sagte Adrian.
    «Hallo, London. Ich kann Sie leider nicht sehen, aber immerhin höre ich Sie ganz gut.»
    «Wir werden Sie nicht lange aufhalten. Erzählen Sie unserem amerikanischen Freund doch bitte, was Sie in der Sache
Bullfinch
erfahren haben», sagte Adrian.
Bullfinch
war offensichtlich der Codename, den sie für diese Operation benutzten.
    «Wir glauben, dass die Zielperson in einem Betrieb namens Tohid Elektro arbeitet. Die Firma ist Teil des iranischen Nuklearkomplexes. Wir glauben, dass sie 2003, als die

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