Der Einzelgänger
jetzt, bei geöffneter Tür, klingt es weniger nach Schnarchen, sondern eher so, als versuche jemand durch einen mit Haferschleim gefüllten Schnorchel zu atmen. Mehr als nur beunruhigend. Allein vom Zuhören fühle ich mich klaustrophobisch und dem Ersticken nahe.
Die Gestalt sieht klein aus - kein Kind, sondern ein schmächtiger erwachsener Mann, schätze ich - und ist so dick in Mäntel, fleckige Handtücher und die Fenstervorhänge des Gesellschaftszimmers gehüllt, daß ich nicht sagen kann, wer oder welchen Geschlechts sie ist. Das wichtigste ist im Augenblick, daß sich niemand sonst in dem Raum aufhält, also schleiche ich auf Katzenpfoten vorwärts. Die H&K ist auf die Stirn der Gestalt gerichtet, nur für alle Fälle, aber doch mehr aus Gewohnheit als aufgrund der Tatsache, daß ich mir Sorgen darüber mache, hier auf Schwierigkeiten zu stoßen.
Die Atmung verändert sich nicht - nicht im geringsten als ich mich der Gestalt nähere. Ein unangenehmer Geruch sticht mir in die Nase - biologisch, so ähnlich wie verwestes Fleisch, aber doch nicht ganz so. Und plötzlich rasten ein paar Ideen mit einem fast hörbaren Klicken ein, und das Bild, das sie zeichnen, will mir nicht gefallen. Nicht im geringsten. Mit dem Blitz-kompensator der H&K schiebe ich den Vorhang vom Kopf der Gestalt herunter, so daß ich ihr Gesicht sehen kann.
Es ist Paco, und er sieht aus wie Drek. Seine Haut ist nicht weiß, sondern eher schwach bläulich, abgesehen von den beiden großen dunklen Ringen unter den Augen. Ich könnte mich fast zu der Ansicht durchringen, daß die Ringe von irgend jemand stammen, der Paco zwei Veilchen verpaßt hat, aber die Wahrheit ist, die Ringe sind nicht auf äußerliche Gewalteinwirkung zurückzuführen. Seine Lippen sind rissig und hier und da so tief gesprungen, daß rosafarbenes Fleisch durchscheint. Gelbweißer Schleim läuft ihm aus der Nase, und jetzt weiß ich auch, warum seine Atmung so unterwassermäßig klingt - seine Lungen müssen voll von diesem Drek sein. Er bewegt sich und hustet, und sein Atem auf meinem Gesicht stinkt entsetzlich nach verwestem Fleisch. »Drek!« murmle ich, indem ich zurückweiche und den Drang unterdrücke, auf der Stelle zu kotzen.
Seine aufgedunsenen Augen blinzeln, darin öffnen sie sich langsam. Sie sind so blutunter laufen, daß ich kaum Weiß sehen kann. Einen Moment lang rollen sie wild und blind, dann richten sie sich auf mein Gesicht. »Larson.« Pacos Stimme klingt entsetzlich gequält, blubbernd wie bei einem Mann, der in einem Sumpf ertrinkt. »Larson, bist du das?«
O Heilige Maria, Mutter Gottes. Ich trete näher -wenn dieser Drek durch den Atem übertragen wird, bin ich bereits infiziert. »Ich bin es, Paco«, sage ich leise.
»Ich bin krank, 'mano«, sagt er. »Hab' mich noch nie so drekkig gefühlt. Hilf mir, ja?«
Ich nicke - ich traue mich nicht zu sprechen. »Ich helfe dir«, sage ich zu ihm, obwohl ich nicht die leiseste Ahnung habe, wie ich das anstellen soll.
»Hilf mir«, sagt er wieder, als hätte er mich nicht verstanden. »Ich hab' die Seuche, 'mano. Ich glaub', ich sterbe.«
21
Ich konnte Ärzte noch nie leiden, und die Orte, an denen Ärzte herumhängen, noch weniger. Sicher, ich habe Chummer, Kollegen, Delinquenten und Fremde in mehr Unfallstationen geschleppt, als ich zählen kann, aber ich habe es immer gehaßt. Ich nehme an, weil irgendein irrationaler Teil von mir eine Scheißangst davor hat, ich könnte mir das holen, was der andere hat - auch wenn er nicht krank, sondern angeschossen oder sonstwie verletzt ist. Zum Teufel mit der Logik. Ich kann mir hundertmal sagen, daß Schußwunden nicht ansteckend sind, aber ich will trotzdem immer so schnell wie möglich ins Freie.
Also können Sie sich ja vorstellen, wie ich mich fühle, wenn der andere Bursche tatsächlich krank ist. Unendlich viel schlechter, Priyatel. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, hänge ich hier auch noch in einem Schatten-Krankenhaus rum, und dieser verdammte Argent kommt nicht...
Ich kann nichts weiter tun, als auf und ab zu gehen, und meine Stiefel klicken dumpf auf dem verschrammten Boden. (Linoleum! Das gibt Ihnen eine Vorstellung davon, wie alt der Laden ist.) Im Wartezimmer steht eine abgewetzte Vinylcouch, aber ich bin nicht in Stimmung, mich von den Sprungfedern zerstechen zu lassen. Einmal auf die Couch setzen, und schon ist man ein Fall für den Doc und muß wieder zusammengeflickt werden und dafür dann auch noch hundert Nuyen zahlen.
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