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Der Einzelgänger

Der Einzelgänger

Titel: Der Einzelgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nigel Findley
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gleite auf den Fahrersitz, der tief auf der Straße liegt und geformt ist wie der Pilotensitz in einem Kampfflugzeug, und lasse die Hände über das Armaturenbrett gleiten. Ich tippe auf das Gaspedal und sehe, wie die orangefarbenen Zeiger der Analoginstrumente augenblicklich reagieren. Ja, obwohl ich noch nicht einmal weiß, wohin ich fahre, bekomme ich den Eindruck, daß ich die Fahrt selbst genießen werde. Ich schließe die Tür - ein sanftes Klicken, nicht das Scheppern, das man hei einem typischen Americar zu hören bekommt lege den ersten Gang ein und fahre los.

    Der Westwind verfügt über eine erstklassige Soundanlage, und die mache ich mir zunutze, während ich auf der 405 nach Norden und durch Bellevue fahre. Zuerst suche ich die Sender nach Musik ab, die heiß genug ist, um mir die Spinnweben aus dem Gehirn zu pusten. Classic Mercurial vielleicht, oder die neuste Scheibe von Marli Bremerton and the Shadows. Alles, nur nicht Darwins Bastards. Ich finde auch gute Musik, aber sie wird schnell langweilig, und ich spüre, wie sich das Bedürfnis nach aktuellen Informationen in mir regt.
    Ich bin immer ein Nachrichten-Junkie gewesen, eine Neigung, die unterdrückt, aber nicht ausgerottet worden ist, als ich mit der Undercoverarbeit begann. Wie lange ist es her, seit ich mich zum letztenmal informiert habe, was außerhalb der winzigen Sphäre meines eigenen Lebens läuft? Zu lange - mindestens drei Tage. Ich gehe wieder sämtliche Sender durch in der Hoffnung, dabei auf Nachrichten zu stoßen, und dann bin ich im siebenten Himmel, als ich plötzlich NewsNet - natürlich nur audio - aus Atlanta empfange. Der Autopilot des Westwind ist so gut, daß man den Eindruck hat, der Wagen will selbst fahren, also lasse ich ihm seinen Willen und konzentriere mich auf Ted Turners geistige Erben.
    Nichts weltbewegend Neues, jedenfalls nicht zuerst. In den NAN-Staaten machen sich die Salish-Shidhe und Tsimshian immer noch in gemeinsamen Ratsversammlungen gegenseitig die Hölle heiß und drohen einander mit Krieg wegen irgendeines neuen Rohstoff-verteilungsplans. Pueblo kann Ute im Moment nicht leiden, während die Sioux - der alte Feind - jedermanns liebstes Kind zu sein scheint. In Europa funkt es wieder zwischen Serben und Kroaten, und alle hassen nach wie vor die Israelis. Drei Universitäten richten Feiern zum hundertsten Jahrestag der Veröffentlichung des ersten Buchs irgendeiner Trilogie von einem Kerl namens Tolkien aus, und eine Neo-Anarchistengruppe aus Atlanta will wegen der Aktivitäten von jemandem namens McCarthy, ebenfalls aus dem letzten Jahrhundert, einen ›Tag der Scham‹ ausrufen. (Haltet euch doch bitte an die Gegenwart!) Börsen- und Geschäftsnachrichten laufen darauf hinaus, daß es die Megakonzerne den Verbrauchern immer noch gründlich besorgen. Keine namentliche Erwähnung von TIC, BioLogic, Lightbringer oder Novalis Optical Technologies, aber das ist keine große Überraschung.
    Die Regionalnachrichten - von irgendeiner im Sprawl ansässigen NN-Tochter, nehme ich an - erschüttern mich, da sie mir deutlich vor Augen führen, wie weit ich hinter dem Mond bin. NewsNet genießt einen besseren Ruf, sich an die Fakten zu halten, als jede konkurrierende Organisation einschließlich der Katholischen Kirche. Laut dieser Meldung ist in den Slums des Seattier Metroplex eine häßliche Virusinfektion ausgebrochen. Sicher, das ist NN, aber auch dieser Sender ist um Einschaltquoten bemüht, also muß man Abstriche in der Größenordnung des Faktors zehn machen. Wenn an dem, was der Sprecher sagt, etwas dran ist, haben wir es hier mit etwas zu tun, das ein wenig beunruhigender ist als die letzte Epidemie der Hongkong-Grippe. Ich reduziere die Geschwindigkeit und drehe das Radio lauter.
    »Der Sprecher des Gesundheitsamtes der Stadt, Dr. Ken Blatherman, beschreibt die Mini-Epidemie als neue Spezies eines Retrovirus, das in Grenzen infektiös sei und von einem unbekannten Vektor übertragen werde«, verkündet der Sprecher, ohne über die hochgestochenen Worte zu stolpern. (Das ist NN...) »Die Tatsache, daß die Virusinfektion bis jetzt auf die Unterschicht der Stadt begrenzt zu sein scheint, deute eher darauf hin, daß die Bedingungen, denen die Nichtseßhaften und Arbeitslosen« - Übersetzung: Penner - »ausgesetzt seien, das Ausbrechen der Krankheit förderten, als darauf, daß sich der Infektionsherd irgendwo auf den Straßen von Seattle befinde, stellt Dr. Blatherman fest. Dr. Blatherman widerspricht

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