Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
verändert.« Seine Gedanken hatten einen Weg nach draußen gefunden, fast ohne dass er es merkte.
»Unsinn«, sagte sie, den Blick stur zum Fenster gewandt. »Das scheint nur so.«
»Und wie geht es dir? Jetzt haben wir mehr als sieben Minuten … Sag, wie läuft’s?«
»Ich nehme an, es könnte schlimmer sein. Besser auch. Kurz gesagt, ich kann mich nicht beklagen. Und bei dir?«
Er zündete sich eine Zigarette an. Diesmal bat er nicht erst um Erlaubnis.
»Sagen wir, ich habe bessere Momente erlebt, schlechtere auch«, antwortete er schließlich.
»Ich habe von der Sache mit Ruth erfahren. Das tut mir leid, ehrlich.«
»Ich weiß.«
Bei der Erwähnung ihres Namens verstummten sie wie auf ein Zauberwort, aber diesmal durchbrach Lola die Stille.
»Ich war in Barcelona, um sie zu interviewen. Kurz nachdem ihr euch getrennt habt.«
Héctor war überrascht.
»Ich wusste nicht, dass du auch solche Sachen schreibst.«
»Willkommen in der Welt der neuen Journalisten«, sagte sie. »Oder besser gesagt, wie es auf meiner Visitenkarte heißt: ›Content-Dienstleisterin‹. Pass nur auf, dass du nicht eines Tages kein Inspektor mehr bist, sondern ein ›Ordnungsdienstleister‹ oder so ähnlich.«
In ihrer Stimme lag Bitterkeit, und sie versuchte es nicht einmal zu verbergen.
»Alles hat sich verändert. Und ich fürchte, es kommt noch schlimmer. Merkst du es nicht?« Zum ersten Mal wandte sie sich ihm zu. »Wir haben in einer Art Vorhölle gelebt, Héctor, nicht im Vorzimmer zum Himmel.«
»Sag bloß, du bist religiös geworden.«
»Niemals! Ich glaube, das erlaubt mir meine DNA nicht, ich muss immun sein gegen Spiritualität. Schon bei Räucherkerzen und Buddhas wird mir übel. Nein, ich spreche von einer sehr realen Hölle: Armut, Extremismus, Angst … Vielleicht stimmt mich das Alter pessimistisch, aber in diesem Land hat nichts mehr einen Sinn: nicht die Linke, die es nur noch dem Namen nach ist, nicht die Rechte, die sich selbst gemäßigt nennt, nicht die Banken, die höhere Gewinne machen als die Unternehmen.« Sie lächelte. »Nicht die Unternehmer, die ihre Angestellten für ein paar Tage mit aufs Land nehmen, als wären sie ihre Kinder und würdenihnen wirklich etwas bedeuten. Zu viel Geschmuse, Héctor, zu viele Lügen, und wir alle haben sie geglaubt, weil sie so schön klangen. Weil wir es gerne gehört haben.«
Lola schwieg einen Moment und kam zurück zu dem, was sie eigentlich hatte sagen wollen.
»Ja, ich habe Ruth gekannt. Sie war eine bezaubernde Frau. Das ganze Interview habe ich mich gefragt, ob sie das mit uns wohl wusste oder nicht, und am Ende war ich so schlau wie zuvor.«
»Sie wusste es«, sagte Héctor. »Ich habe es ihr erzählt. Als …«
»Als du mit mir Schluss gemacht hast. Sag es ruhig. Es ist sieben Jahre her, ich werde nicht in Tränen ausbrechen.«
Barcelona war nicht mehr weit. Der Verkehr wurde dichter, und das Gefühl von Nähe verflüchtigte sich.
»Wir konnten so nicht weitermachen. Es wurde zu heftig. Wenn es dir ein Trost ist: Am Ende hat Ruth mich verlassen.«
»Nein, das tröstet mich nicht.« Lolas Stimme war so ernst, so traurig, dass Héctor den Blick von der Straße wandte und zu ihr hinschaute. »Weißt du, warum? Bestimmt nicht, weil ich eine Heilige wäre. Aber als ich bei der Vorbereitung zu dem Interview mit Ruth erfuhr, dass ihr getrennt wart und sie eine neue Partnerin hatte, wusste ich, dass wir beide nie wieder zusammen sein könnten, ohne dass ich mich wie ein Notnagel fühlte. Umständehalber eingesprungen.«
Héctor griff nach ihrer Hand. Er konnte nicht anders. Lola zog sie nicht zurück.
»Héctor … Ich bin aus Barcelona weggegangen und habe unsere Geschichte nach und nach überwunden. Ich habe mir Mühe gegeben, Ruth nicht zu beneiden und dich zu vergessen.«
Er wollte sie am liebsten küssen. Den Wagen an dernächsten Ecke abstellen und sie umarmen. In ihr Hotel gehen und sie langsam ausziehen. Sie streicheln, bis die sieben Jahre Trennung ausgelöscht wären. Sie schaute ihm in die Augen und verstand.
»Nein.« Sie löste sich sanft, aber bestimmt. »Bloß kein Wehmutstourismus, Héctor. Das ist echt deprimierend. Es gab eine Zeit, da konnte ich dich nicht zurückweisen. Mein Körper wäre nicht dazu in der Lage gewesen. Heute aber schon. Und weißt du, warum? Weil es nur eine Wahrheit gibt, und da mache ich mir nichts vor. Du hattest die Möglichkeit zu wählen, und du hast es getan. Ich habe verloren, und gewonnen hat Ruth.
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