Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
Vom Netzwerk:
sein – vermochte er es, jeden Anflug von Misstrauen zu vertreiben. Über seiner Schulter hing ein Rucksack, der immer wieder über den Ärmel der braunen Lederjacke rutschen wollte.
    »Entschuldige, dass ich gestern Abend bei dir geklingelt habe«, sagte er, »aber ich fahre heute weg und wollte dich vorher noch treffen. Drehen wir eine Runde?«
    Sie stimmte zu, hielt aber, kaum dass sie durchs Tor traten, nach einer Bank Ausschau und lenkte ihre Schritte dorthin. Es waren nur wenige Menschen in der Gartenanlage, und die alten Gebäude, getaucht ins graue Winterlicht, hatten fast etwas Gespenstisches.
    »Macht es dir was aus, wenn wir uns setzen?«, fragte sie und duzte ihn ebenfalls. »Ich bin zu schwer, um viel zu laufen.«
    Er war einverstanden. Gegenüber der Bank stand eine Statue aus weißem Stein: eine junge Mutter im Schneidersitz mit einem Kind auf dem Schoß. Mittlerweile wurden die Gebäude zu anderen Zwecken genutzt, aber vor Jahren war dieses Ensemble aus mehreren Häusern einmal ein Hospital gewesen, wo die Frauen ihre Kinder zur Welt brachten. Leire setzte sich und strich sich über den Bauch. Abel schien zu schlafen. Träge wie der Tag, dachte sie. Darin kam er bestimmt nach seinem Vater.
    »Also«, sagte Leire, »du machst mich ganz schön neugierig.«
    Andrés Moreno lächelte.
    »Das kann ich mir denken. Und jetzt weiß ich, ehrlich gesagt, gar nicht, wo ich anfangen soll.«
    »Du sagtest, du könntest mir etwas über Ruth Valldaura erzählen. Ich glaube, das wäre ein guter Anfang.«
    Er setzte den Rucksack zwischen ihnen auf der Bank ab, öffnete ihn und wollte schon etwas herausholen, überlegte es sich aber anders. Stattdessen stellte er eine Frage, die Leire völlig verblüffte.
    »Hast du von den geraubten Babys gehört?«
    »Was?« Aber dann hatte sie sich gleich wieder gefasst. »Ja, natürlich, wer nicht.«
    Es war schon eine Weile her, dass die Nachricht durch die Presse gegangen war, ein echter Skandal: Babys, die ihren Müttern gleich nach der Geburt weggenommen und von den Eltern für tot gehalten wurden, worauf man sie bei dubiosen Adoptionen anderen Familien gab, die glaubten, unerwünschte Kinder aufzunehmen. Was als Folge des Bürgerkriegs begonnen hatte und jene Mütter von der Verliererseite betraf, die in den Augen der Machthaber unwürdig waren, Kinder großzuziehen, hatte sich zu einem kriminellen Geschäft entwickelt, das noch viele Jahre florierte. Und jetzt gab es Menschen, die in den sechziger und siebziger Jahren geboren waren und verzweifelt nach ihren leiblichen Eltern suchten; Eltern, die bis vor kurzem fest davon überzeugt waren, sie hätten ein Kind bei der Geburt verloren, und die nun vor einem leeren Grab standen; Adoptiveltern, die entsetzt feststellen mussten, dass sie, ohne es zu wissen, Teil einer so unmoralischen wie skrupellosen Verschwörung gewesen waren. Die Sache war erschütternd, und ein Schatten fiel auf Hebammen, Nonnen und Ärzte, auch wenn in den meisten Fällen das Gesetz nichts ausrichten konnte. Nicht nur war es schwer, die Straftaten zu beweisen, hinzu kam auch die Verjährung.
    Während Leire an all das dachte, was sie hier und da aufgeschnappt hatte, zog Andrés Moreno eine Mappe aus dem Rucksack.
    »Ich bin Journalist und beschäftige mich seit Monaten mit dem Thema. Wenn du damit vertraut bist, muss ich nicht in die Einzelheiten gehen. Ich will dir nur sagen, dass es viele unbekannte Fälle gibt, die noch aufzudecken sind. Aber die Namen einiger Ärzte, die in die Sache verwickelt waren, tauchen immer wieder auf, auch der einer unbarmherzigen Nonne, um sie irgendwie zu benennen.«
    Leire pflichtete bei, auch wenn sie noch nicht wusste, was das alles mit ihr und Ruth Valldaura zu tun hatte.
    »Natürlich gibt es nur wenige Spuren dieser illegalen Adoptionen. Die Methoden variierten. Einige Mütter brachten ihr Baby in normalen Krankenhäusern zur Welt, und nach der Entbindung teilte man ihnen mit, dass ihr Kind gestorben sei. Sie hatten sogar den Leichnam eines … Entschuldige.« Er unterbrach sich, als er sah, dass Leire blass wurde.
    »Nein, schon gut«, log sie.
    »Ach, verdammt, es ist wirklich nicht sehr passend, dir davon zu erzählen. Tut mir leid.«
    »Keine Sorge. Ich weiß nicht, ob es passend ist oder nicht, aber wo du schon mal angefangen hast …«
    Er atmete tief ein.
    »Es gab noch andere Fälle. Ledige Mütter, die in religiösen Einrichtungen Zuflucht suchten und bei denen man es auf dieselbe Weise machte. Oder noch

Weitere Kostenlose Bücher