Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
schlimmer. Man sagte ihnen einfach, sie seien es nicht wert, Mütter zu sein, ihre Kinder hätten es im Schoße einer richtigen Familie besser. Wenn sie sich wehrten, wurden sie bedroht. Manchmal hieß es, man werde ihnen die Kinder wegnehmen, die sie schon hatten. Wie auch immer, die Babys wurden praktisch gleich nach der Geburt den Adoptiveltern übergeben, und die ließen sie als eigene Kinder eintragen. Eins ist klar: Geld war dabei immer im Spiel.«
»Sicher«, sagte Leire. »Meines Wissens in Form von Spenden, nicht wahr?«
»Was die religiösen Einrichtungen betrifft, auf jeden Fall. Und genau darauf wollte ich hinaus.«
Andrés Moreno öffnete die Mappe, so alt, dass sie fast schon auseinanderfiel.
»Eins der Heime für ledige Mütter aus dieser Zeit war das hier.«
Er zeigte ihr ein Schwarz-Weiß-Foto. Ein paar Ordensfrauen posierten vor einem Haus mit großem Garten. Alle lächelten in die Kamera.
»Es war das Heim der Schwestern der Unbefleckten Empfängnis, in Tarragona, und wurde geleitet von einer Nonne, deren Name in mehr als einer Akte auftaucht. Schwester Amparo. Die hier.«
Sie unterschied sich kaum von den anderen. Die Trachten erfüllten ihre Funktion und verliehen allen das gleiche Aussehen: brave graue Täubchen.«
»Ich sage ›war‹, weil es das Heim nicht mehr gibt. Schwester Amparo auch nicht mehr, zumindest nicht in dieser Welt. Sie ist vor vier Jahren gestorben. Das Heim wurde schon Ende der Achtziger geschlossen, und das Archiv muss in einer anderen Einrichtung Platz gefunden haben, oder es wurde vernichtet. Offenbar waren damals nur noch wenige Schwestern dort, aber einer von ihnen gelang es, ein paar Dokumente mitzunehmen.«
»Wozu?«
»Sagen wir, sie hatte dort gewisse Dinge gesehen und wollte einige Beweise aufheben.«
Moreno senkte den Kopf und fügte hinzu:
»Mehr kann ich dir über sie nicht sagen. Das war die Bedingung. Sie hätte mir die Unterlagen sonst nicht gegeben. Ich meine die hier.«
Er nahm ein paar Blätter aus der Mappe, ohne Zweifel Fotokopien anderer, älterer, die an sich schon kaum zu lesen waren. Leire nahm sie und betrachtete sie aufmerksam.
»Es sind Spenden. Wie du siehst, schwanken die Summen, aber sie sind alle sehr hoch. Wir sprechen von Millionen, in den Siebzigern, während es bei anderen Leuten höchstens mal sechshunderttausend waren. Schau dir das hier an.«
Leire sah hin. Ein Spendenbeleg über zehn Millionen Peseten, vom 13. Oktober 1971, ausgestellt auf einen gewissen Ernesto Valldaura Recasens.
»Was willst du damit sagen?«, fragte sie, auch wenn ihre gerunzelte Stirn verriet, dass sie es schon ahnte.
»Das beweist noch nichts, klar. Jeder kann so viel spenden, wie er Lust hat. Aber ich bin der Sache nachgegangen, allen Namen, die hier stehen. Es sind nicht viele, allerdings sind die Leute schwer ausfindig zu machen. Mit Ernesto Valldaura hatte ich Glück. Hier ist die Geburtsurkunde seiner Tochter.« Er zeigte sie ihr. »Ruth Valldaura Martorell, geboren am 13. Oktober 1971.«
Leire betrachtete die beiden Dokumente mit einem Gefühl, das dem Schwindel nahekam.
»Das bedeutet …?«
Er hob die Schultern.
»Es ist kein Beweis, für gar nichts. Zumindest nicht vor Gericht. Wie gesagt, Herr Valldaura hatte alles Recht der Welt, so hohe Summen zu spenden, welchem Heim auch immer. Aber das übereinstimmende Datum ist auffällig, meinst du nicht?«
»Was hat die Nonne noch gesagt? Die dir das alles gegeben hat.«
»Wenig. Dass manche Mütter zu dem Heim kamen und ihre Kinder zurückverlangten, dass es viele ›schwierige‹ Geburten gab und dass Schwester Amparo das Haus mit eiserner Hand regierte. Und die Kasse immer gefüllt.«
»Wann … wann hast du die Dokumente erhalten?«
»Ende letzten Jahres.«
Ruth war da schon verschwunden, dachte Leire.
»Als ich die Valldauras schließlich ausfindig gemacht und die Geburtsurkunde in der Hand hatte, habe ich rasch den Namen ihrer Tochter recherchiert. Und so erfuhr ich, dass sie verschwunden war, ein paar Monate vorher.«
»Warst du bei ihnen?«
»Die Valldauras wollten mich nicht empfangen. Ich nehme an, sie dachten, ich wäre ein weiterer Journalist, der sich für den Fall ihrer Tochter interessierte, und ich habe auch nicht insistiert. Was würden sie mir schon sagen? Es kam mir abwegig vor, ihnen gegenüber die Spende anzusprechen und was man daraus folgern könnte, schließlich hatten sie gerade Kummer genug. Also habe ich mich darauf konzentriert, mehr über Ruth Valldaura
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