Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
unterschiedlichen Alters, zwischen dreißig und jenseits der fünfzig. Sara stand ganz außen, und auch wenn sie lächelte, gab es eine fast unmerkliche Distanz zwischen ihr und der restlichen Gruppe.
»Alles Arbeitskollegen?«
»Ja, Inspektor. Eins der Gesichter kam mir gleich bekannt vor. Der junge Mann am anderen Rand des Fotos. Der mit Brille.«
»Und?«
»Wenn ich mich nicht irre, ist das Gaspar Ródenas.«
Héctor runzelte leicht die Stirn, und ein aufgeregter Roger Fort wiederholte noch einmal, was der Inspektor am Anfang ihres Gesprächs nicht gehört hatte.
»Im September hat Gaspar Ródenas seine Frau und seine vierzehn Monate alte Tochter getötet. Dann hat er sich umgebracht.«
Salgado betrachtete das Foto. Er bearbeitete keine Fälle von Gewalt in der Familie, aber das Alter des Mädchens war ihm im Gedächtnis haften geblieben.
»Willst du damit sagen, Sara und Gaspar Ródenas haben in derselben Firma gearbeitet? Und sich beide umgebracht?«
»Ja, Inspektor. Merkwürdig, nicht?«
Ziemlich merkwürdig, dachte Héctor. Er schaute noch einmal auf das Foto: Von den acht Personen, alle relativ jung, waren zwei auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen. In einem Fall hatte der Selbstmörder zuvor seine Familie ausgelöscht, in dem anderen nur sich selbst.
»Du kennst den Nachahmereffekt, ja?«, fragte er Fort. »Wenn du mich fragst, ich kann damit nicht viel anfangen,aber etwas ist dran. Wenn Sara unter Depressionen litt, hätte die Tat ihres Kollegen sie auf den Gedanken bringen können.«
Er sagte es ohne allzu große Überzeugung. Die Tat eines Kindesmörders konnte von jemandem, der bei Verstand war, schwerlich als Vorbild genommen werden. Und wie man es auch wendete, bisher deutete nichts darauf hin, dass Sara Mahler geisteskrank gewesen war.
Héctor sah auf die Uhr. Er wollte heute möglichst bald aus dem Büro.
»Fort, mach mir eine Kopie von dem Foto, bevor du gehst. Und versuch morgen herauszufinden, wieso Sara gerade in dieser Station war. Bitte auch die Kollegen von der Häuslichen Gewalt um Information, mal sehen, was sie erzählen.« Er suchte nach der Visitenkarte, die Víctor Alemany ihm gegeben hatte. »Sobald wir Näheres wissen, statten wir Alemany Kosmetik einen kleinen Höflichkeitsbesuch ab.«
Roger Fort nickte nur, und Héctor fragte sich, ob er die Ironie wohl verstanden hatte.
»Ach ja, und gute Arbeit, Fort. Weiter so.«
Das war à la Savall, warf er sich selber vor. Zum Schluss erst und ohne dem anderen in die Augen zu sehen.
9
Auch wenn er seit ihrer Verlobung die Schlüssel zu Sílvias Wohnung hatte, fühlte César sich jedes Mal, wenn er sie in ihrer Abwesenheit benutzte, wie ein Eindringling. Er schloss vorsichtig auf und zögerte ein paar Sekunden, ehe er eintrat, als fürchtete er, ein Hund könnte ihn anfallen. Bald wäre es auch sein Zuhause, dachte er, aber es gelang ihm nicht, die Rolle des Gastes ganz abzustreifen. Er war sich dessen bewusst, und es ärgerte ihn. Er hätte sich lieber so unbefangen bewegt wie in seiner eigenen Wohnung: das Jackett über den Stuhl geworfen, die Schuhe in die Ecke geknallt und sich umgezogen. Stattdessen hängte er das Jackett an den Garderobenhaken in der Diele und lockerte nur ein wenig die Krawatte. Weiter nichts.
Geräusche waren keine zu hören, und César ging in die Küche, um sich ein Bier zu holen. Er wusste, dass Sílvia immer welches für ihn kaufte. Er öffnete die Flasche und warf den Kronkorken in einen der drei kleinen Mülleimer, nicht ohne sich zuvor zu vergewissern, dass es der richtige war. Dämliches Recycling. In seiner Wohnung hatte er einen einzigen Müllsack, aber Sílvia achtete auf solche Dinge. Und ihre Kinder auch. Die Uhr zeigte zwanzig vor sieben, was bedeutete, dass Sílvia erst in mehr als einer Stunde kam. Pol hatte Hallenfußball, und Emma, die Ältere, musste bei einer Freundin sein. Besser so, César fühlte sich wohler, wenn sie nicht da waren.
Dienstag war der einzige Tag, an dem Sílvia schon kurz vor sechs die Firma verließ, der wöchentliche Yoga-Kurs war ihr heilig. Nur ein verheerender Tornado hätte diesem Programm etwas anhaben können, das dann zu Hause weiterging mit einem leichten Essen, ein bisschen Fernsehen aufder Couch und einem raschen Fick im Schlafzimmer. Deshalb war César da, auch wenn er an diesem Dienstag früher kam als sonst. Er hatte seinen Schreibtisch bald verlassen, nicht weil er etwas Besonderes vorhatte, sondern weil er die von Mutmaßungen schwere
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