Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
mir schon seltsam vor. Ehrlich gesagt, ich war ein bisschen sauer. Ich arbeite fast jeden Samstag, in einem Supermarkt in Cornellà, und Gaspar wusste genau, wie sehr ich mich darauf freute, mit der Kleinen zu Mittag zu essen, es war mein einziger freier Samstag im Monat.« María del Mar fuhr wieder nach Hause, vermutlich stinkwütend, denn von L’Hospitalet, wo sie noch bei den Eltern wohnte, bis El Clot waren es mindestens fünfundvierzig Minuten mit der Metro. Sie rief den ganzen Nachmittag weiter an, und als ihr Bruder immer noch nicht antwortete, nahm sie den Schlüsselbund, den Gaspar bei ihnen deponiert hatte, und fuhr wieder zu der Wohnung. »Das hatte ich noch nie gemacht, einfach so rein. Susana würde an die Decke gehen, aber es war mir egal. Irgendwas stimmte nicht … Ich wollte mich nur vergewissern, dass nichts passiert war.«
Den grausigen Anblick wird das arme Mädchen so schnell nicht vergessen, dachte Héctor. Es tat ihm weh, sie daran erinnern zu müssen, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Wenn er wissen wollte, was für ein Mensch Gaspar Ródenas gewesen war, wenn er herausfinden wollte, was ihn dazu gebracht hatte, eine solche Tat zu begehen, musste er mit seiner Familie sprechen. Eigentlich wollte er es schon am Tag vorher, aber da rief Savall ihn wieder zu einer Sitzung mitAndreu und Calderón, und die dauerte den ganzen Nachmittag. So dass er schließlich mit María del Mar ein Treffen um fünf Uhr vereinbarte, in einem Café in der Nähe ihrer Wohnung. Sie war nicht Gaspars Mutter, aber für den Moment würde es reichen.
Es war ein geräumiges Lokal, und es war laut. Die Gäste, meist Geschäftsleute aus der Gegend, standen um diese Zeit vor allem an der Theke oder, seit das Antirauchergesetz in Kraft getreten war, auf der Straße und qualmten, den Geschmack von Kaffee noch im Mund.
Héctor war allein hingefahren und hatte Fort zwei Dinge aufgetragen: herauszufinden, was Sara Mahler um diese Uhrzeit in der Metrostation Urquinaona machte, und bei der Gelegenheit Informationen zu Alemany Kosmetik einzuholen. Am nächsten Tag, Freitag, wollte er dem Unternehmen einen Besuch abstatten und mit Sílvia Alemany sprechen, wenn möglich auch mit den anderen Kollegen auf dem Foto. Irgendwie passte dieses Bild von den acht wie für eine Wanderung gekleideten Personen zu diesem scheußlichen anderen, das Sara Mahler auf ihrem Handy erhalten hatte. Zwei Teile, die zum selben Puzzle gehören konnten oder auch nicht. Bei dem Vergleich dachte Héctor sofort an Kommissar Savall, den großen Puzzlefreund, mit dem er früher oder später über den Fall sprechen musste.
María del Mar wartete an der Tür auf ihn. Sie gingen hinein und suchten sich einen freien Tisch abseits der Theke. Zum Glück gab es mehrere, und sie wählten den in der Ecke, wo sie wenigstens ein bisschen ungestört sein konnten.
Héctor wartete, bis die Kellnerin ihnen die Getränke gebracht hatte, und versuchte erst einmal das Eis zu brechen. María del Mar, »Nennen Sie mich einfach Mar«, hatte auf Lehramt studiert und ein paar Monate in verschiedenenKaufhäusern an der Kasse gearbeitet. Seit November war sie arbeitslos. Genau wie ihr Freund, erzählte sie. Der, Iván, hatte bis letztes Jahr auf dem Bau gearbeitet, und das Einzige, was er seither gefunden hatte, war »hier und da mal ein kleinerer Job bei seinem Cousin«. Aushilfsarbeiten, mit denen er allenfalls auf tausend Euro kam. Mit siebenundzwanzig Jahren lebten beide noch bei ihren Eltern, denn gerade als sie sich eine Wohnung mieten wollten, wurde Iván entlassen.
»Ich weiß nicht, ob wir es irgendwann mal schaffen zu heiraten«, sagte Mar traurig. »Aber Sie sind nicht hergekommen, damit ich Ihnen meinen Kummer erzähle, Inspektor. Gibt es im Fall meines Bruders etwas Neues?« Sie fragte es ohne Scheu, als nistete tief in ihr der Verdacht, Gaspar Ródenas könnte immer noch Sünden verheimlichen, die es aufzudecken galt.
Héctor nahm sich vor, so aufrichtig wie möglich zu sein. Er wollte keine falschen Hoffnungen wecken in diesem offiziell ad acta gelegten Fall.
»Nein, nichts.« Saras Tod ließ er lieber unerwähnt. »Ich versuche nur, etwas mehr über deinen Bruder zu erfahren. Den Fall mit einer besseren Erklärung abzuschließen, nicht einfach zu sagen, bei ihm habe ›der Verstand ausgesetzt‹. Wenn das denn möglich ist …«
Natürlich war das unwahrscheinlich, aber Mar schien eine vertrauensselige Person zu sein, denn sie sagte nichts und wartete nur,
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