Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
eine bestimmte Meinung dazu habe. Ich weiß nur, dass nervös zu werden gar nichts bringt. Das muss allen klar sein. Und, César … Wenn ich du wäre, würde ich niemandem vertrauen. Keinem.«
16
»Sprich mit seiner Mutter«, hatte Carmen zu ihm gesagt, als sie morgens zusammen frühstückten. Und Héctor Salgado vertraute mehr auf den Instinkt seiner Vermieterin als auf die Akribie der Experten, die die Polizeiberichte anfertigten. »Denk daran, dass sie seine Mutter war. Und Großmutter war sie auch. Sie muss wissen, ob ihr Sohn etwas so Schreckliches hätte tun können.«
Héctor war in dem Punkt anderer Meinung. Für ihn stand fest, dass Mutterliebe, wo es um die Schwächen des eigenen Nachwuchses ging, zu einer Art Dauerverblendung führte. Bei Carmen war dies zwar nicht der Fall, denn sie wusste genau, dass ihr Carlos ein Penner war, der sich nur aus reiner Faulheit nicht auf krummere Sachen einließ, doch das bedeutete nicht, dass man es verallgemeinern konnte. In einem allerdings hatte Carmen recht: Die Mutter von Gaspar Ródenas war die Großmutter von Alba, und die hatte er, so die offizielle Version, im Schlaf mit einem Kopfkissen erstickt, in derselben Nacht, in der er seine Frau mit einem Schuss tötete. Das alles, bevor er sich selbst erschoss.
Die Berichte beschrieben recht eindeutig, wie sich die Taten abgespielt hatten, halfen beim Warum aber kaum weiter. Wenn es denn überhaupt eine rationale Erklärung geben konnte, was Inspektor Salgado bezweifelte. Das Wie, die einzelnen Schritte, die zu dem Familiendrama führten, schien klar zu sein. Mitte Juli kaufte Gaspar Ródenas sich eine Pistole. Die Kollegen von der Häuslichen Gewalt hatten die Spur relativ leicht verfolgt und waren auf den Verkäufer gestoßen, einen Kleinganoven, der auch mal mit Schusswaffen dealte. Ob Gaspar seine Frau darüber informiert hatte, war nicht bekannt. Die ganze Familie von Susana wohnte inValencia, und während der paar Tage Urlaub, die sie zusammen verbrachten, hatte die Tochter aus Barcelona nichts dergleichen erwähnt. Außerdem sind wir hier nicht in den USA, dachte Héctor. Hier haben die Leute keine Pistolen zu Hause, um sich vor wem oder was zu schützen, erst recht nicht ein junges Paar, das mit seiner kleinen Tochter in einer Wohnung in El Clot lebte. Dort waren die Chancen, dass ihnen so eine Waffe einmal nützlich wäre, gleich null.
Es war also anzunehmen, dass Gaspar den Kauf der Pistole seiner Frau verschwieg. Ihre Familie hatte laut Bericht nur wenig zur Aufklärung beigetragen. Sie waren so am Boden zerstört, dass sie kaum sprechen konnten. Sie sagten nur, Susana sei mit ihrer Tochter sehr glücklich gewesen, erst kürzlich sei Gaspar befördert worden, und allem Anschein nach hätten sie sich gut verstanden. Klar, dass sich die Aufmerksamkeit der Familie auf das kleine Mädchen konzentrierte, das sie nur selten sahen. »Er muss verrückt geworden sein«, so Susanas älterer Bruder, der zur gleichen Zeit bei den Eltern in Valencia gewesen war. »Su sagte, die neue Stelle sei für ihn ziemlich stressig. Aber das war nur eine Bemerkung, sie selber meinte, es sei nur ›eine Frage der Zeit‹, er würde sich schon daran gewöhnen.«
Niemand bringt seine Familie um, bloß weil er Stress am Arbeitsplatz hat, sagte sich Héctor. Jedenfalls war Gaspar Ródenas dem Bericht zufolge am 4. September gegen 19:45 Uhr nach Hause gekommen. Ein Nachbar begegnete ihm im Treppenhaus, und wie üblich hatten sie sich gegrüßt. Im Haus gab es nur sechs Mietparteien, drei Etagen mit je zwei Wohnungen, die Ródenas wohnten im ersten Stock. Dort wohnte auch eine achtzigjährige Frau, recht schwerhörig, und eine der Wohnungen ganz oben, laut dieser Nachbarin früher belegt von »so Dunklen«, stand leer, seit die Familie in ihre Heimat zurückgekehrt war. Die anderen Mieter waren in Urlaub gewesen. Der Mann, der ihm am Abend begegnete, Bewohner des zweiten Stocks, glaubte in der Nacht Geräusche zu hören, aber nie wäre ihm der Verdacht gekommen, es könnten Schüsse sein.
Aufgefunden hatte sie ausgerechnet Gaspars Schwester, María del Mar Ródenas. Sie wollte am Samstagmittag ihre Nichte besuchen, so war es abgemacht. »Gaspar ging nicht ans Handy, aber ich hatte ja versprochen, dass ich komme, also bin ich hin. Ich dachte, sie wären mit der Kleinen beschäftigt. Und Susana, na ja, die ging sowieso nie ans Telefon. Als ich dann aber an der Tür klingelte und niemand antwortete, auch nicht auf dem Handy, da kam es
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