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Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman

Titel: Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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eine
Frau sehen musste. Sie hatte rötliche Haare, eine große Nase und las. Kopp beobachtete sie dabei nicht länger als unbedingt nötig (3 Sekunden), dann drehte er sich zum Fenster und sah zu, wie sie aus der Stadt hinauszogen. So lange, bis auch noch die letzten Lichter verschwunden waren und die Dunkelheit so vollständig wurde, dass er außer seinem eigenen verzerrten Spiegelbild nichts mehr sehen konnte. Er sah sich an, gefiel sich nicht, aber das störte nicht, denn er erkannte sich auch nicht.
    Er ließ den Kopf zurück in den Sitz sinken, ließ Arme und Beine hängen. In dieser Position bot er der Müdigkeit wieder eine breite Angriffsfläche. Prompt breitete sie sich in seinem Körper aus. Kopf, Rumpf, Extremitäten. Wenn sie in die Arme strömt, ist das nicht angenehm. Ich jedenfalls mag es nicht. Die dadurch entstehende Beklemmung kann man nur neutralisieren, indem man sich ergibt. Sich matt und gedankenlos hängen lässt oder ganz einschläft. Hätte er es mal getan! Im Fahrzeug deines Hasses, nach einem langen, fordernden Tag, wieso schläfst du nicht einfach? Wenn du aufwachst, bist du zu Hause, in der Stadt, die dir genehm ist, und alles ist gut. Oder wenigstens besser. In den meisten Fällen wäre Darius Kopp glücklich genug gewesen, genau diese Lösung wählen zu können. Diesmal nicht. Beziehungsweise, der Versuch, es zu tun, scheiterte. Er saß da, rekapitulierte den Tag. Nichts, was er sich vorgenommen hätte, es passierte von allein. Oder vielleicht war es doch die lesende Frau, die ihn entfernt an Flora erinnerte. - Ebenso, wie schon die Thekenkraft im Café Flair. Kann es sein, dass du einfach vergleichst ? Ketzerische Frage. - Er dachte also an Flora, mit Flora im Bett in der Früh, das war gut. Dabei hätte er bleiben sollen, höchstens noch darauf achten, dass ihn keine allzu eindeutige sexuelle Erregung in der Öffentlichkeit belästigte, und dann darüber einschlummern. Aber es gelang nicht. Er konnte nicht anders, als fortzufahren und den Tag weiter
zu rekonstruieren. Beziehungsweise: da er merkte, dass er im Begriff war, das zu tun, er aber nicht an Marlene und Mutter denken wollte, behalf er sich, in dem er die Richtung änderte. Nicht vorwärts, sondern rückwärts! Was war davor ? Was war gestern? Prompt verhedderte er sich, die Müdigkeit wuchs rasant an und drängte, wie Quecksilberkügelchen, die einzelnen Erinnerungsstücke auseinander. Kopp schnappte angestrengt nach ihnen. Schweinegerippe, dachte Kopp, Rolf, dachte er, wie geht es ihm, ist er noch im Krankenhaus? Wenn Krankenhaus, dann Mutter, Krankenhausbettwäsche mit einem blauen Streifen - er machte schnell einen Sprung, nahm das Nächstbeste, das ihm einfiel: das Handtuch im Handtuchhalter in der Unitoilette, seine Hände, die er sich abtrocknete, die Hände des Cholerikers, die sich auf der Tischplatte abstützten, die Spitzen der sommersprossigen Finger zurückgebogen. Trotzdem habe ich dich kassiert! Das Einkaufszentrum blitzte auf, Kopp drängte es eilig weg, dachte: Arbeit, wir sind bei der Arbeit, sah sein Bürohaus von außen, sah sein Büro von innen, nicht die Kartons, sondern den Schreibtisch mit der müllfreien Fläche für den Laptop und setzte sich mit einem Ruck gerade hin.
    Der Laptopkoffer stand im Fußraum des Sitzes neben ihm. Kopp starrte diesen Koffer an, während der Ärger von innen gegen seine Schläfen prallte. Der Koffer, darin der Laptop und im Laptop: die E-Mail, die er auf der Herfahrt an Bill & Co geschrieben hatte. Geschrieben, bei den Entwürfen abgelegt und beim nächsten Netzkontakt nicht wieder in den Postausgang verschoben. Das heißt: Sie liegt noch da! Im Büro liegt seit Freitag das Geld, heute ist Mittwoch, und es ist immer noch nicht gelungen, die Chefs darüber zu informieren.
    Darius Kopp fasste sich an den Kopf, mit dem Kopf zwischen den Händen beugte er sich über seine Knie und fluchte gotteslästerlich zwischen zusammengebissenen Zähnen.

    Ich fass’ es nicht, ich fass’ es nicht, wie kann einer nur so doof sein?!
    Sein Gürtel bohrte sich ihm in den Bauch, im Bauch entstand ein Schmerz, aber das war nicht der Gürtel, es war weiter innen. Als gerieten jetzt zu allem Überfluss auch noch die widerstreitenden Lebensmittel, die er im Laufe des Tages zu sich genommen hatte, aneinander. Lachs, Ei, Orangensaft, Milchkaffee, schoss Kopp durch den Kopf, und er musste sich aufrichten, denn es wurde ihm übel.
    Kam hoch und sah, dass die lesende Frau ihn ansah. Das war ihm zu

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