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Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman

Titel: Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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mir wie mit einer Irren, Aber was ist denn passiert , junge Frau?, und versprechen mir, sich zu kümmern,
und natürlich tun sie nichts , und ich weiß, sie sind im Recht und ich bin im Unrecht, denn wenn einer so redet, ist das vor dem Gesetz tatsächlich nichts , aber wenn ich es höre, möchte ich am liebsten sterben …! - oder weil sie gesehen hat, dass ein Mann einen anderen in einer Kassenschlange getreten hat. Offenbar einen vollkommen Unbekannten, offenbar vollkommen ohne Grund. Der Ausdruck im Gesicht des Getretenen, seine Verwunderung, sein Schmerz, die Demütigung, aber auch schon der Beschluss, sich nicht zu rächen … - Aber dann ist ja gut, sagt Kopp. - Ja, sagt Flora, das heißt: nein, und weint.
    - oder es passiert auch nichts. Kleinigkeiten sammeln sich an. Auch, wir wollen es nicht verschweigen, bei der Arbeit. Wir wollen gar nicht so weit gehen, von Mobbing zu reden, es ist häufig nur die Atmosphäre oder, noch banaler, einfach die akkumulierte Müdigkeit, und Flora bricht wieder zusammen. Immer so: neuer Anlauf, Zusammenbruch, neuer Anlauf, Zusammenbruch. Deswegen ist es so, dass Darius Kopp seine Frau nicht nur liebt, sondern sich auch um sie sorgt. Es stimmt nicht, dass du mir, sobald du mir aus den Augen bist, weil ich z. B. bei der Arbeit bin oder mit meinem Kumpel saufen, auch aus dem Sinn wärst. Ich gebe zu, dir zu wenig zu helfen, vielleicht nicht ganz so schlimm, als lebten wir in den Fünfzigern, aber ich vergesse, zugegeben, das Meiste, das du mir zu erledigen aufträgst, deswegen trägst du mir seit einer Weile auch nichts mehr auf und investierst lieber Kraft und Zeit, als Nerven, aber das sind ja nur Sachen, Flo, verstehst du, nur Sachen . Und du bist du.
    (Das hast du schön gesagt, du faules Luder.)
     
    Sie packte alles ein, sie packte quasi auch ihn mit ein, und dann fuhren sie hinaus, aufs Land.
    Freitagabend, 22 Uhr. Für eine Großstadt war bemerkenswert
wenig los, und auch davon war immer weniger zu sehen, je weiter sie voran- (hinaus-) kamen. Irgendwann nur noch der von den Scheinwerfern beleuchtete Bereich aus Straße, Straßenrand, Graben, von den Bäumen nur der Stamm. Der Rand der Welt. Dahinter das All. Wir fahren am Rand der Scheibe entlang. - Vorsicht! Wildwechsel! - Hier ist es immer dunkel, damit die Leute sich nicht erschrecken. Wie ging es den Arbeitern, die diese Straße hierher gebaut haben?
    Ich spiele, um mich davon abzulenken, dass ich nicht hier sein will. Ehrlich gesagt, mag Darius Kopp es nicht, aufs Land zu fahren. Er mag zwar dem Äußeren nach ein Naturbursch sein, mit einem Körperbau quasi direkt aus der Eiszeit: stabiles Skelett, enorme Hände und Füße, der große Zeh so breit und kräftig, dass er als der Huf eines winzigen Huftiers durchgehen könnte, aber wer daraus voreilig Schlüsse ziehen wollte - Welchen Beruf übt die abgebildete Person vermutlich aus? a) Bauer … - wäre rasch eines Besseren belehrt. Er ist ein Stadtkind durch und durch, für den das Quietschen der Straßenbahnen und das Fegen vorbeifahrender Autos signalisiert: es ist alles in Ordnung. Das »befreundete Haus« steht als ganzer Gegensatz dazu in einem Stück Wald, einer ehemaligen Bungalowsiedlung aus dem Osten, wo einem bei der kleinsten Luftbewegung irgendeine Spreu in den Nacken weht, nicht zu sprechen von den Insekten. Der trockene Sommer begünstigt Armeen von Schmetterlingen, Bienen und Fliegen, dafür weniger Mücken, und auch die Nacktschnecke nagt nicht am Kohlgarten, aber all das weiß Kopp gar nicht, und es wäre ihm auch egal. Etwas anderes kann ihm hingegen nicht egal sein, denn es handelt sich um Angst, und zwar nicht um so eine schöne, unterhaltsame, wie beim Spiel mit dem Weltenrand, sondern eine von der Sorte, die man sich weder ausdenken noch gegen sie andenken kann, denn sie sitzt in einem zu alten
Teil des Gehirns: die Angst vor der Dunkelheit, vor Geräuschen in der Dunkelheit, die es in der Stadt nicht mehr gibt. Rascheln, Knacken, Pfeifen, Grunzen. Kopp kann kein einziges Mal nicht daran denken, dass einer dieser knarzenden Bäume ebenso gut auch plötzlich aufgeben und auf sie stürzen könnte, und er kann auch kein einziges Mal nicht an die Tiere denken, die, vor Durst verzweifelt, bis an die Häuser kommen. Man hört, der Luchs sei wieder eingewandert. Wenn mich ein Luchs anfallen würde, ich auf der Gartenliege, er über mir, seine Krallen, meine unbekleidete, zerfetzte Haut, vielleicht die Halsschlagader. Wir wollen den Luchs nicht an die

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