Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
Lampen stehen, zusammen mit einigen (unzähligen) Switches, Ports, Antennen und Speichereinheiten bis heute in Kopps Heimbüro.
Sie kegelten, fraßen und soffen also und lachten wie die Irren, anschließend fiel Kopp neben Flora ins Bett und schnarchte bis in den späten Morgen. Die Helligkeit quälte seine Augen, er
hielt nur eins einen Spalt offen, so ging er ins Bad. Er schlief ein weiteres Viertelstündchen auf der Toilette, und noch eins unter der Dusche. Zum Abschluss wechselte er von warmem Wasser zu kaltem, danach stand er noch lange da und ließ das Wasser aus seinem Fell tropfen. Als er alles in allem eine Stunde später zurück ins Schlafzimmer kam, schlief Flora immer noch.
Er ging auf den Balkon hinaus und grinste in die Sonne. Nicht sehr lange, denn die Helligkeit stach ihm wieder ins Auge, er bekam Kopfschmerzen und ihm fiel ein, dass er jetzt also arbeitslos war. Ihm wurden die Arme taub, er ging zurück ins Zimmer.
Flora?
Sie war blass und kalt, und Kopp plötzlich zu sehr in Panik, um zu hören, ob sie noch atmete. Stell dir vor, du wachst auf, und der Mensch neben dir ist tot.
Aber sie war nicht tot, sie hatte nicht genug Schmerzmittel genommen, Kopp seinerseits nahm gar nichts, zum einen war keine einzige Pille mehr im Haus und zum anderen hätte er sich jetzt auch nicht mehr getraut. Vor Kopfschmerz und Schrecken betäubt, saß er erneut an ihrem Krankenhausbett.
Sie war eine Woche lang unansprechbar, schlief entweder oder weinte mit abgewandtem Gesicht, aber er hätte sowieso nicht gewusst, was er sagen sollte.
Was ist das? Wieso? Was war passiert?
Später erzählte sie es ihm. Wie häufig war es auch diesmal nur etwas Kleines. - Oder, ich weiß nicht. Nein. - Sie hatte keinen guten Tag. Schon nach dem Aufwachen war da etwas , und du weißt, wenn es schon so anfängt, hast du keine Chance. Was auch passiert, und wenn nichts passiert, es wird dich begleiten und es wird wachsen, eine Eiterblase, du kannst höchstens hoffen, dass es langsam genug vonstatten geht, dass der Tag zu Ende ist, bevor es unerträglich wird, bevor sie platzt.
Zum Lesen, Fernsehen oder jeder anderen stillen Tätigkeit war sie zu unruhig, also ging sie in den Supermarkt. Dort standen zwei Frauen zwischen den Regalen, und während Flora sich nach einer Packung Nudeln streckte, sagte die eine zur anderen: … und die eine Schwester, wenn ihre Tochter sich in die Hosen gemacht hat, hat sie ihr den nassen Schlüpfer über den Kopf gezogen, so musste sie in der Ecke stehen, die war schon mit einem Jahr sauber … Hier bemerkte sie, dass Flora sie anstarrte. Die beiden Frauen starrten zurück und wechselten dann diesen bekannten Blick: Was ist das für eine? Woher kommt sie, dass sie nicht weiß, dass es sich nicht gehört, so zu starren?
Flora drehte sich um, ging nach Hause, legte die Nudeln in der Küche ab, ging ins Bad, sah in den Spiegel, und dann war’s vorbei. Ich konnte mir selbst nicht in die Augen sehen, so sehr habe ich mich geschämt.
Du? Geschämt? Aber wieso?
Das kann man nicht erklären.
War es eine Spätfolge des Überfalls?
Nein. Hat mich jemand, ein armer Wahnsinniger, belästigt und verletzt? Ja. Die Frage ist: Wieso passiert das nicht jeden Tag etc. Man wundert sich höchstens über die eigene Unempfindlichkeit. Aber das jetzt konnte sie nicht mehr ertragen. Dieser Schmerz ist unerträglich. Ich möchte nicht mehr leben.
Ich verstehe das nicht.
Ich weiß.
Ihre Frau, aber das werden Sie wissen, ist eine außerordentlich sensible Person, eine so genannte highly sensitive person. Das bedeutet nicht nur, dass sie bereits von der Menge Stimulation, bei denen sich ein Nicht-Hochsensibler noch langweilt, stimuliert ist, wohingegen sie in Situationen, in denen sich Nicht-Hochsensible wohlfühlen, überstimuliert ist. Es kommt noch hinzu, dass ihr auch Leiden in jeglicher Form unerträglich
ist. Mehr noch, sie kann nicht unterscheiden zwischen eigenem und fremdem Leiden. Oft wirken ausgerechnet solche Menschen ganz besonders widerstandsfähig, aus keinem anderen Grund als dem, dass sie quasi keinen direkten Kontakt zur Welt halten. Wird ihre Schutzzone allerdings durch irgendetwas durchbrochen, ist die Hölle los.
Wie lange dauert so was?
So etwas dauert nicht. So etwas ist . Das ist wie Ihre Augenfarbe oder Ihre Händigkeit, Sie können den Stift in der Rechten halten, trotzdem bleiben Sie, was Sie sind.
Verstehe, sagte Kopp.
Dass Sie ratlos sind, ist normal. Zu Ihrer Entlastung sei Ihnen gesagt:
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