Der eiserne Gustav
Drohungen, Bitten, Lügen … aus dem Dunkel her …
Er würde nie wieder einen Menschen bekommen wie Eva. Ohne Frage, ohne Klage, ohne Auflehnung tat sie, was er befahl. Sie würde ihn nie verraten – sie war so sehr sein, daß sie jeden Befehl auf der Stelle, ohne Wimperzucken befolgte. Sie war in diesen Jahren nie eine Minute aus seinem Bann gekommen, sie hatte sich bei keinem anderen Menschen je aussprechen können (er schloß die Wohnung sorgfältig ab, wenn er ging), sie hatte nichts mehr im Kopf als ihn! Das saß ihr im Kopf, ob nah, ob fern, wie es in ihr saß, was er ihr drei Jahre lang Tag für Tag in allen Variationen, mit Vorwürfen, Klagen, Spott, Drohungen wiederholt hatte, daß sie es war, die ihn blind und häßlich geschossen hatte! Daß sie es wieder gutzumachen hatte, daß sie es nie wieder gutmachen könnte …
Auch der schlaueste Ganove kann jeden Tag hereinfallen! Und wenn der Ganove noch so klug rechnet, alles bedenkt, wenn er ganz unverdächtig ist – das Leben rechnet anders, es kommt immer aus einer anderen Ecke. Natürlich fiel auch Eugen Bast herein, er fiel herein, als er nicht im geringsten im Verdacht war, er fiel herein, ohne daß die Polizei eine Ahnung hatte, wer er war, er fiel herein, ohne daß irgendeine seiner recht zahlreichen Straftaten den Grund dazu abgab – er fiel unberechenbar herein, um tausend Ecken! Das Leben selbst legte ihn herein – mit einem Wohnungswechsel!
Und nicht etwa, daß Basts die Wohnung gewechselt hätten, sondern der Hauswirt Mazeike gewann endlich den Prozeß beim Mieteinigungsamt gegen den böswillig nicht zahlenden Mieter Dörnbrack. Das Wohlfahrtsamt wies derFamilie Dörnbrack irgendeine Barackenwohnung zu, die ehemals Dörnbracksche Wohnung wurde frei.
Eugen Bast merkte von alldem nichts. Er kannte den Hauswirt nicht, er kannte Dörnbracks nicht, er lernte auch den neuen Mieter nicht kennen, einen gewissen Querkuleit. Und doch war es Querkuleit, der ihn hereinlegt …
Bast wohnte in einem der Riesenmietshäuser des Ostens, in denen Tausende von Wohnungen zu sein scheinen. In solch einer überfüllten Menschenwabe ließ sich für Eugen Bast hausen. Er ging unter, verschwand, er war ohne Interesse. Er war der blinde Bettler – manche aus dem Haus hatten ihn in der Friedrichstraße stehen sehen, ein Junge holte und brachte ihn. Er sollte mit einem Frauenzimmer wohnen, aber das bekam man nie zu Gesicht, wahrscheinlich sah es noch schlimmer aus als er!
Fertig, untergegangen, eingereiht – es gab so viele Tragödien in diesem Hause, Kinder wurden geboren, geprügelt, Frauen hatten ihre Kräche, heute war der besoffen, morgen dieser krank. Es war kein angenehmes Haus (außer für Eugen Bast). Es war ein Haus aus dem armen Dutzend – in einer Elendszeit. Die Jungverheirateten Querkuleits hätten sicher ein angenehmeres vorgezogen, aber es waren die Zeiten, da leere Wohnungen nicht existent waren. Querkuleit, ein junger Beamter vom Wohnungsamt, hatte zugeschnappt, vollkommen in Ordnung, einwandfrei, er stand auf der Liste, ein bißchen Fürsprache – jedenfalls hatte er keine Wahl gehabt.
Da saßen die beiden jungen Leute nun in diesem überfüllten Haus, sie hatten sich wirklich gerne (auch so etwas gab es in diesem seltsamen, alpdruckartigen Jahre 1923) und versuchten, ihr Leben für sich zu leben. Es schien schwer, denn das Haus griff in ihr Leben ein; wo Eugen Bast wortlos, blind vorüberging, da sagte Frau Querkuleit: »Na, Kleiner, was brüllst du, wer hat denn dir auf den Schlips getreten?«
Und der junge Querkuleit war nach einem Vierteljahr in mindestens sechs Hausfehden verwickelt, wegen des Aborts, wegen des Mülls, wegen der Waschküche, weil Frau Schmidtzu Frau Schulze gesagt hatte: »Olle Sau«, weil er zu Frau Dobrin gesagt hatte, aus Müllers Wohnung käme immer solcher Mief …
Kurz, Querkuleits waren ahnungslose junge Leute, sie meinten, die Menschen sollten einander das Leben nicht durchaus noch schwerer machen, als es schon war. Worauf sofort das ganze Haus es darauf anlegte, Querkuleits das Leben so schwer wie möglich zu machen.
Aber sie waren jung. Es mußte schon hart kommen, ehe sie nachgaben. Mit Erbitterung fochten sie für Gerechtigkeit und Anstand in einer Welt, in der Ungerechtigkeit und Betrug Trumpf waren. Sie hatten keinesfalls genug an ihren sechs Hausfehden. Frau Querkuleit, die ja eigentlich als Frau die Lebensklügere von beiden hätte sein müssen, sagte immer wieder: »Hör mal, jetzt weint sie.« Oder:
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