Der eiserne Gustav
»Hörst du, jetzt schlägt er sie.« – »Du, wach auf, eben ist sie hingefallen! Jetzt schreit sie!«
Querkuleit war abends todmüde, er schlief sofort fest ein. Aber Frau Querkuleit hatte einen etwas dünnen Schlaf; wenn sie auf ein Geräusch einen Tick hatte, wachte sie davon auf. Und auf diese Geräusche aus der Unterwohnung hatte sie bald einen Tick. Sie gingen ihr wider das Gefühl. Sie wachte auf, Nacht für Nacht, und hörte eine Frau weinen, wimmern, auch einmal schreien. Sie meinte, das Geräusch von Schlägen zu hören. Aber nie hörte sie die Stimme des Mannes, die doch zu all diesen Geräuschen gehören mußte – das war besonders unheimlich.
Sie weckte ihren Querkuleit, er mußte es auch hören. Sie war glücklich, aber es war ein Stachel in ihrem Glück, daß eine andere so unglücklich war. Querkuleit war zuerst dagegen, aus dem tiefsten Nachtschlaf geweckt zu werden wegen des Weinens einer Frau. Auch ein für Gerechtigkeit entflammter Mensch liebt seinen Schlaf. Aber mit der Zeit erwachte der Kampfgeist in ihm.
Es war seine Frau, die ihn darauf aufmerksam machte, daß man nie ein Geräusch von dem Mann hörte, nie ein Wort.Kein Schelten, kein Ruf drang zu ihnen – immer nur die Frau. Das war seltsam. Es war nicht schwer herauszubekommen, wer in der Wohnung unter ihnen wohnte, ein blinder, entstellter Mann, der betteln ging und Rohrstühle flocht. Vielleicht ein bedauernswerter Mann. Stumm? Nein, stumm war er nicht. Querkuleit hatte ihn einmal ein paar Worte zu dem führenden Jungen sagen hören. Stummheit erklärte nicht, daß man nie einen Laut von dem Mann hörte.
Und es war wiederum seltsam: In der Nacht hörte man nur die Frau, am Tage sah man nur den Mann. Querkuleits paßten auf, sie befragten die Nachbarn – nein, die Frau war nicht sichtbar. Keiner konnte sagen, wie sie aussah.
»Es ist rätselhaft!« sagte Frau Querkuleit.
»Da muß ich hinterkommen!« sagte Querkuleit.
Oh, was man für Träume spinnen kann in solch einem Haus der tausend Schicksale, wenn man noch jung und das Leben neu ist!. Wenn man daran glaubt, daß man einen Platz auszufüllen hat in der Welt. Wenn man sich noch nicht eingewöhnt hat auf diesem Erdball aus Widersprüchen, wenn noch ein Glanz in einem lebt vom unbekannten Dunkel, aus dem man kommt! Querkuleits sahen viele Tage in das vernarbte, ledrige, maskenhafte Gesicht des Blinden, sie horchten viele Nächte auf das Weinen und Schreien.
Sie waren kleine Leute, sie wußten, daß oft Frauen von ihren Männern geschlagen werden. Sie fanden es gemein, aber es hatte doch irgendwie etwas Menschliches. Was um den Blinden witterte, war unmenschlich. Sie sprachen lange darüber, aber immer blieb es unmenschlich. Und was unmenschlich war, mußte geändert werden …
Schließlich ging Querkuleit auf die Polizeiwache und sprach von seinen Bedenken.
Aber der Reviervorsteher schüttelte den Kopf. »Sehen Sie mal, junger Mann, wir Polizei blamieren uns nicht gern. Eine Frau, die allnächtlich mißhandelt wird und die doch nie den Versuch macht, sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen – nein!«
»Aber sie kann doch«, begann Querkuleit und wurde rot.
»Nun, was denn?« fragte der Reviervorsteher ganz freundlich. »Wahrscheinlich fesselt er sie den ganzen Tag, wie? Daß sie nicht einmal gegen die Wand klopfen kann? Nein, nein. Sie haben zuviel Phantasie.« Er sah den Kartothekzettel an. »Und übrigens sind die schon über drei Jahre dort gemeldet – wilde Ehe zweifelsohne, aber dagegen schreiten wir schon lange nicht mehr ein.«
»Aber man kann doch nicht …!« rief Querkuleit verzweifelt.
»Natürlich kann man. Sie werden’s auch noch lernen, junger Mann. Es ist ein ganz guter Spruch: ›Was dich nicht brennt, das blase nicht!‹«
»Das ist ein ganz feiger Spruch!« rief Querkuleit empört. »Wenn man nur da blasen sollte, wo man sich selber verbrannt hat – die Welt käme weit!«
»Ist ziemlich weit gekommen in letzter Zeit, was?« Der Reviervorsteher betrachtete den jungen Eiferer mit wohlwollendem Lächeln. Dann wurde er dienstlich. »Wir bedauern, auf Ihre Anzeige nicht einschreiten zu können.« Er sah den Jüngling an. »Natürlich, wenn Sie melden könnten, die Frau hat um Hilfe gebeten …«
Sehr nachdenklich ging Querkuleit nach Haus. Er berichtete seiner Frau. Er nahm den Reviervorsteher in Schutz, aber sie schalt auf ihn: »Am liebsten hätte die Polizei immer erst etwas Totes liegen, ehe sie sich rührte!« Die machten es sich
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