Der eiserne Gustav
danke. Ich brauche nichts.«
Der Beamte steht auf. »Besuchszeit vorbei!«
Ganz schnell: »Auf Wiedersehen, Eva, Kopf hoch!«
»Adieu, Heinz.«
»Ach Gott, Eva – ich Schafskopf, hast du denn einen Verteidiger?«
»Sie müssen jetzt gehen, die Besuchszeit ist vorbei.«
»Ja, ich habe einen. Kümmere dich um nichts! Und komm nie wieder! Besuch mich nie wieder – auch später nicht!«
»Sie sollen jetzt gehen, hören Sie doch!«
Eva, fast schreiend: »Sage den Eltern, daß ich tot bin, längst gestorben – es ist nichts mehr von ihrer Eva da …«
»Schluß! – Immer in der letzten Minute kriegt ihr das Quasseln. – Hören Sie mal, wenn Sie noch einmal zu quasseln anfangen, sobald ich gesagt habe ›Besuch vorbei‹, dannmelde ich das, und Sie kriegen überhaupt keinen Besuch mehr!«
»Ich wollte ja gar keinen Besuch haben, ich habe es Ihnen doch gleich gesagt!«
»Dann hätten Sie doch den Mund gehalten! Aber zu schreien anfangen, wenn die Zeit vorbei ist, das bringt ihr alle fertig … Ach, reden Sie nicht mehr, rein in die Zelle!«
9
Ein Gefängnis ist ein komplizierter Bau, dutzendfach gesichert, mit Schlössern, Mauern, Riegeln und Gittern. Ein komplizierter Apparat ist es, mit Beamten, die die Gefangenen beaufsichtigen, und mit Oberbeamten, die die Beamten beaufsichtigen. Mit Stechuhren und regelmäßigen Kontrollen und überraschenden Kontrollen, mit Briefprüfungsstellen und mit Gefangenen, von denen die anderen Gefangenen bespitzelt werden …
Ein Netz, fein ausgesonnen, Masche an Masche geknüpft, nichts kann durchschlüpfen. Auch liegt der Frauenflügel isoliert von dem Männergefängnis – und doch waren keine vierundzwanzig Stunden seit der Verhaftung von Eugen Bast und Eva Hackendahl vergangen, da hatte eine Essen tragende Gefangene der Eva schon einen Zettel in die Hand gedrückt, einen Kassiber, die erste Mahnung des blinden Herrn an seine Sklavin: »Auch im Gefängnis bist du nicht frei …«
Sie war diesen ersten Tag auf und ab gegangen in der Zelle, hin und her, von einer Wand zur anderen, von der Tür zum Fenster, um die Mitgefangenen herum, als sehe sie sie nicht … Sie konnte es tun, sie genoß Achtung, sie war eine Schwere. Immerzu rasselte die Tür: »Hackendahl zur Vernehmung.«
Die anderen konnten drei Tage lauern, kein Untersuchungsrichter fragte nach ihnen. Nach ihr wurde immerzu gefragt.
Eine Sache muß nur
sehr
gut oder
sehr
böse sein: schonimponiert sie den Dummen! Eva imponierte ihnen. »Was mag sie bloß ausgefressen haben?« berieten sie. »Sie sieht gar nicht so aus.«
»Doofkopp! Grade die nich so aussehen, das sind die Schlimmsten! Ick hab mal ’ne Jiftmörderin jesehen, die sah aus wie meine Jroßmutter …«
»Kein Wunder, wenn deine Großmutter dir ähnlich ist …!«
Eva ging auf und ab, sie nahm die Achtung der anderen hin, wie sie das Gefängnis hinnahm: Es war draußen, ferne, belanglos. Drinnen lebte sie immer noch die Jahre in der Stube bei Eugen Bast, da es nichts für sie gab als nur den Blinden. Sie hatte Heinz die Wahrheit gesagt: Sie war in den letzten Jahren kaum auf die Straße gekommen. Er hatte sie wie eine Gefangene gehalten. Er war ein richtiger Erwerbsblinder geworden, er bettelte, aber er nahm auch Stühle zum Flechten an. Diese Stühle flocht freilich nicht er, die hatte sie zu flechten. Aber sie waren ein guter Vorwand, in fremde Wohnungen zu kommen, Diebesgelegenheiten für seine Freunde zu erspähen. Der blinde arme Mann, von einem kleinen Jungen geführt, kam nie in Verdacht, er war so schlau, der Eugen Bast!
Es waren unendlich lange, eintönige Jahre gewesen, ein Tag wie der andere. Es waren freilich nicht so schlimme Jahre gewesen wie die ersten, als sie sich erst an seine Herrschaft hatte gewöhnen müssen, als sie noch an Freiheit und Flucht dachte.
Für so etwas hatte sie längst die Kraft nicht mehr. Sie war stumpf geworden, sie nahm alles hin. Wenn er sie schlug, nun, so weinte sie eben; solange er sie an den Haaren riß (was ihr besonders schmerzhaft war, viel schmerzhafter als Schläge), schrie sie – aber schließlich hörte er mit dem Schlagen und Reißen auch wieder auf.
Gerade diese Stumpfheit aber war es, die den Eugen Bast immer von neuem gegen sie aufbrachte. Er war doch erfinderisch. Keiner konnte ihm ein gewisses Genie im Erfinden von Quälereien absprechen, aber bei ihr verfing nichts mehr. Längst hätte er diese langweilige Zicke fortgejagt, aber sie war ja so nützlich! So jung, wie er gewesen, war ja
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