Der eiserne Gustav
bequem!
»Also, jetzt weckst du mich nicht mehr!« sagte er energisch. »Es ist ganz zwecklos, und ich brauche meinen Schlaf auch. Die Streitereien auf dem Wohnungsamt sind bald nicht mehr zu ertragen …«
Aber wahrscheinlich heißt man nicht ohne Grund Querkuleit. Es ließ ihm keine Ruhe. Nun wachte er von selbst auf in der Nacht, lag still, daß seine Frau nichts merkte, fühlte, daß sie auch wach war, und lauschte. Beide lauschten auf das Weinen in der Nacht. Es war sehr schwer, wieder in Schlaf zukommen, es war sehr schwer, sich damit abzufinden, daß die Welt so ungeordnet weitergehen sollte … Wenn man jung ist, läßt man nicht gerne ungelöste Aufgaben hinter sich …
Nein, er versuchte nicht, sich mit der Frau in Verbindung zu setzen. Er hatte eine Ahnung, das herrliche Ahnungsvermögen der Jugend, ein heller Leitstern, man muß nur an ihn glauben. Er hatte die Ahnung, er müsse in dieser Sache durchaus unter eigener Verantwortung handeln …
Schließlich, als es ihn zu sehr quälte, ging er, ohne seiner Frau etwas zu sagen, auf die Wache und gab an, seit vier oder fünf Tagen klopfe es alle Tage gegen die und die Tür, es werde um Hilfe gebeten …
Er hatte eine Zeit abgepaßt, da der Reviervorsteher nicht da war. Aber obwohl er keinem argwöhnischen Beamten gegenüberstand, log er sich fast fest. Warum die Frau nicht auch andere Nachbarn gerufen habe? Woher sie ihn kenne? Was sie als Grund der Mißhandlung angegeben habe? Ob sie wegen Freiheitsberaubung geklagt habe? Warum sie denn nicht aus dem Fenster rufe? Es gehe doch fast alle Tage einer von der Polizei über den Hof!
Es ist den Idealisten nicht leicht gemacht, auf dieser Erde ihrem Ideal gemäß zu leben. Aus dem Lügengewirr, in dem Querkuleit zu versinken drohte, rettete er sich in eine trotzige Haltung. »Soundso, ich bin eben um Hilfe gebeten worden. Ich melde das, tun Sie, was Sie wollen!«
Der Beamte entschloß sich. Er hatte den jungen Mann noch einmal darauf aufmerksam gemacht, welch unangenehme Folgen eine falsche Anzeige für ihn haben könnte, aber als Querkuleit festblieb, beorderte er einen Polizisten, zu der Wohnung mitzugehen und nachzusehen.
Dann standen Querkuleit und der Polizist vor der Tür. Sie hatten geklingelt, und sie klingelten wieder, aber nichts rührte sich. Querkuleit schlug vor, einen Schlosser zu holen.
Der Polizist schüttelte den Kopf. »Darf ich nicht!«
»Aber die Frau ist bestimmt in der Wohnung!«
»Warum meldet sie sich dann nicht?«
»Grade, daß sie sich nicht meldet, ist doch ein Zeichen …«
»Jedenfalls haben wir kein Recht, die Tür aufzubrechen.«
Es war ein älterer Beamter, ein Mann mit einem eisgrauen Schnauzbart, ein Mann ohne jeden Eifer, ein abgestumpfter Mann, fand Querkuleit. Der Mann drückte noch einmal auf den Klingelknopf, und als wieder nichts erfolgte, sagte er den Spruch, den alle sagen, die es bequem haben wollen: »Da kann man nichts machen!«
Und er schickte sich an, die Treppe hinunterzusteigen.
In diesem Augenblick kam Eugen Bast die Treppe herauf. Der Blinde tastete sich, die Hand auf dem Geländer, die Stufen aufwärts. Wie schon oft, hatte er den Jungen am Eingang der Treppe fortgeschickt, er kannte ja jede Stufe, und er zog sich nicht gerne Spione in die Wohnung …
Die beiden hörten ihn kommen, hörten das sachte, vorsichtige Trapp-trapp auf der Treppe. Fast deutlicher noch hörten sie das trockene Schlürfen der Hand auf dem Geländer. Sie sahen ihn an, aber er sah sie nicht, er hörte sie auch nicht …
Denn als er da heraufkam, mit dem schrecklichen, narbigen Gesicht, einem fahl gewordenen, feldgrauen Mantel, blind, finster, da hatte Querkuleit unwillkürlich zum Schweigen mahnend seine Hand auf den Arm des Polizisten gelegt, und der hatte ihn sofort verstanden …
Der Blinde sah sie nicht, er hörte sie nicht, aber er ahnte sie. Er hob den Kopf, es war, als wittere er, als wolle er sie riechen, er fragte: »Wer is’n da?«
Wieder die Hand auf dem Arm des Polizisten. Regungslose Stille.
»Da is doch eener!«
Nichts.
Diese falsche, flehende Stimme! »Ick bin ’n armer, blinder Bettler! Macht doch keenen Quatsch mit ’nem blinden Mann! Ihr!«
Nichts.
Der Mann stand jetzt oben auf dem Treppenabsatz, im vollen Licht des Fensters. Er hatte sein abstoßendes Gesichtgegen sie erhoben, er stand kaum einen Meter von ihnen entfernt. Das Gesicht mit geöffnetem Munde war ihnen ganz nahe; es war unfaßbar, daß er sie nicht sah … Man mußte wissen, daß er
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