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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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nicht sehen
konnte
, aber auch dann blieb es eigentlich unfaßbar …
    Der Polizist sah den Mann an. Nein, er kannte ihn nicht. Aber es war vielleicht etwas im Klang der Stimme: Wer viel mit Lügnern zu tun hat, spürt, wer ein Lügner ist. Es war aber vielleicht auch etwas in der ganzen Haltung des Mannes, etwas Unwägbares, dem Polizisten kaum Bewußtes: Ein blinder Bettler wäre nur hilflos und ängstlich gewesen, aber in diesem war etwas Angespanntes, argwöhnisch Wachsames …
    (Querkuleit aber hatte jetzt vor dem nahen, schrecklichen Gesicht einfach Angst …)
    Bettelnd: »Sagt doch, Jungens, wer is’n da? Ick merk doch, da sind welche … Wat wollt ihr denn?«
    Und nun bewies der Polizist, daß er nicht alt und abgestumpft war, nein, er hatte eine Eingebung. Er griff in die tiefe Tasche seines Mantels. Mit fest geschlossener Hand, daß es nicht zu früh klapperte, holte er etwas vor …
    So leise er es getan hatte, der Blinde hatte das Streifen der Haut am Stoff gehört. Er faßte den Stock … Mit einer überraschend scharfen, bösen Stimme sagte er: »Wenn de jetzt nich sagst, wat de willst, hau ick!«
    (Querkuleit verstand, warum er nie in der Nacht die Stimme dieses Mannes gehört hatte: Selbst jetzt, im höchsten Zorn, flüsterte sie nur.)
    Der Wachtmeister öffnete die Hand und ließ die Handschellen klingeln …
    »Polypen!« schrie Eugen Bast. »Mir vahaften!«
    Und sein Stock traf den Polizisten so zielsicher, mit der Spitze in den Bauch, daß der Mann aufschreiend niederstürzte. Schon aber glitt Eugen Bast die Treppe hinunter, traumhaft sicher, mit einer Schnelligkeit … Querkuleit, der doch sehen konnte, vermochte ihm nicht zu folgen.
    Der Polizist oben, der vor Schmerzen nicht hoch konnte, tat eines: Er trillerte mit der Pfeife …
    (Jetzt durfte er es: Denn wer so auf das Klingeln von Handschellen reagiert, ist kein unbestrafter Kriegsverletzter, sondern – nun, das würde man alles noch feststellen.) Das Trillern der Polizeipfeife brachte das Haus in Aufruhr. »Haltet ihn!« schrie Querkuleit.
    Überall stieß der blinde Mann plötzlich auf Hindernisse. Er versuchte auszuweichen, sich durchzudrängen, verwirrte sich, verlor die Richtung, stolperte, fiel – und da war auch Querkuleit schon da.
    Der Blinde lag, er machte keine Anstalten mehr zu fliehen.
    »Wat wollt ihr denn?« sagte er klagend, »’n armer, blinder Bettler! Ick hab nischt ausjefressen! Ihr habt mir man bloß so’nen Schrecken injejagt!«
    Aber jetzt wieder den Harmlosen zu spielen, dafür war es zu spät. Der Polizist hatte seinen Stoß weg, und der war für einen harmlosen Bettler ein wenig zu zielsicher und bösartig gewesen. Er hatte die Reaktion des Mannes gesehen, als die Handschellen klingelten, der Polizist wußte, was er wußte, und alles andere war nur eine Sache geduldiger, sorgsamer Ermittlungen … Denn auch die besten falschen Papiere sind nur so lange gut, als ihr Inhaber nicht in Verdacht ist …
    Das sah der kluge Eugen Bast auch bald ein … Zugeben, was unbedingt zugegeben werden muß, was sie dir dreifach bewiesen haben, alles andere aber leugnen. Und sich entlasten – aber die Kuh, die Eva belasten, sie nicht einen Augenblick aus der Zange lassen …
    So war der Kassiber gekommen, ein seltsamer Kassiber, keine Weisungen für die Aussage. Sondern ein Kassiber mit den schlichten Worten: »Ick pfeife, und du kniest …«
    Sie geht auf und ab in der Zelle. Sie ist so lange abwesend gewesen, Vernehmung und Besuch des Bruders … Sie denkt weder an die Vernehmung, noch an den Bruder, noch an ihrkünftiges Schicksal; unruhig denkt sie: Hat er gepfiffen, während ich nicht in der Zelle war?
    Sie ist so tief in der Hörigkeit, daß ihr gar nicht einfällt, wie gleichgültig es ist, ob er gepfiffen hat: Er kann die Wirkung seines Pfiffes ja nicht beobachten! Daß sie wirklich frei von ihm ist. Nein, so etwas kann ihr nicht mehr einfallen, Freiheit kann ihr nicht mehr einfallen, sie wartet. Sie quält sich.
    Sie sitzt gerade beim Essen, als er über die Höhe hin durch das Fenster zu ihr kommt: der scharfe Ludenpfiff!
    Sie legt den Löffel in die Schüssel, sie geht in die Ecke, und sie kniet nieder. Sie achtet gar nicht auf die anderen; was sie denken oder sagen können, berührt sie nicht mehr. Sie kniet nieder, erlöst, fast glücklich: Sie ist wieder in der Hand des Herrn und Meisters, sein Geschöpf. Nur
sein
.
    Sie kniet.

10

    Leicht war Heinz der Weg zum Vater nicht geworden. Er fand, es war allgemach

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