Der eiserne Gustav
ihrem Weg zur Bank noch immer im Täschchen. Sichtlich ist Heinz auch unentschlossen, was tun. Sie fühlt, er würde beim ersten guten Wort einlenken. Aber sie ist ebenso unfähig wie er, dieses erste gute Wort zu sagen.
Schließlich entschwindet er in die Stube, wo er mit den Jungen schläft (sie schläft in der Küche), und sie hört ihn dort mit Wasser plätschern. Sie setzt sich mit ihrer Näharbeit an den Tisch, unglaublich unglücklich, eigentlich noch viel unglücklicher als am Vormittag, da sie seinen Betrug erfuhr … Denn jetzt, wo sie ihn wiedergesehen hat, ist sie fast schon davon überzeugt, daß alles anders zusammenhängt. Er hat ja gesagt, die Peitsche ist vom Großvater. Also kommt er vom Großvater. Also hätte sie ihn nur zu fragen brauchen, wieso um diese Zeit vom Großvater und nicht von der Bank – aber sie hat eben nicht gefragt! Und nun ist alles verfahren!
Er hätte mir vorher Bescheid sagen müssen, beharrt es verbissen in ihr. Ich mag auch nicht immer alles aus ihm herausfragen! Wobei sie wenigstens noch so gesund im Geiste ist, immer und alles und auch das Herausfragen als leichte Übertreibungen zu empfinden.
In den nächsten zehn Minuten passiert Heinz mehrfach, eilig wie die Feuerwehr, die Küche. Er zirkuliert zwischen Stube und Flur – draußen auf dem Flur ist seine Stimme von einer betonten Unbekümmertheit, er bringt das Putzen in Gang, drinnen in Stube und Küche ist er stimmlos. Einmal wäre sie beinahe losgebrochen, als er ihren Flickkorb nach einem Putzlappen durchwühlt und natürlich nach Männerart das einzige nicht entbehrliche Stück nimmt: einen Flicken für Gustavs Hose.
Aber sie bezähmt sich. Wenn er nicht ißt, soll er auch ruhigGustavs Hosenflicken verderben! Sie kann ja dann zusehen, woher sie einen neuen kriegt! Recht so – nur immer weiter so!
Sie ist jetzt einfach eine ganz unerhörte Dulderin, und ihr Schweigen wird so deutlich, daß es fast hörbar ist …
Vielleicht empfindet das auch Heinz. Denn er gibt seine brandeiligen Gänge auf, eine Weile hört sie ihn noch mit den Kindern flüstern, so aufdringlich flüstern, betonte Sanftheit, »stört die Mutti nicht, der Armen geht’s nicht gut« – und dann flüstern nur die Kinder.
Sie traut dem Frieden nicht recht. Aber als sie, nach einer weiteren Viertelstunde, sich nach ihm umsieht, muß sie feststellen, daß der junge Heinz gegangen ist, nicht etwa bloß zu dem auf halber Treppe gelegenen Klo, sondern völlig gegangen, mit Mantel und Hut.
Die Kinder spielen mit der Peitsche. Sie hat sich in eine Droschke verwandelt, der eine faßt das Stielende, der andere die Schnur an, mühelos werden sie auf Anruf Pferd und Kutscher. Genauso mühelos, wie sich Mutti und Heinz aus besten Freunden in grimmige Feinde verwandelt haben!
Denn das sind sie nun – Gertrud weiß es nicht anders. Daß er sie nicht nur mit seinem Urlaub betrogen hat, daß er nicht nur sein Essen verweigerte, nein, daß er jetzt auch noch ohne Abschiedsgruß aus dem Hause gelaufen ist – zu einer Zeit, wo er nie fortgeht, das setzt seinem Verhalten die Krone auf! Sie wird nie wieder ein Wort mit ihm reden – und wenn er sie anspricht, dann wird sie ihm Bescheid geben, sie wird ihm sagen, was sie von ihm denkt!
In den nächsten drei Viertelstunden näht sie alles, was sie von ihm denkt, in das Kleid von Elfriede Fischer hinein – diese Nähte halten, aber jeder Stich müßte eigentlich später Fräulein Elfriede Fischer wie mit tausend Nadeln stechen!
Dann muß sie den Kindern ihr Abendessen geben, was gegen alle Gewohnheit fast wortlos geschieht, und nun bringt der Große den Kleinen ins Bett. Sie hört die Kinder in der Stube schnattern, der Großvater ist ihr interessantes Gesprächsthema. Der Großvater, der eine Peitsche geschickt hatund sich einbildet, damit ist alles in Ordnung … Der Großvater, dessen Dickschädel Heinz geerbt hat. O Gott, sie wird bei den Kindern noch viel mehr aufpassen, daß sie nicht so dickschädelig werden. Trotzerei ist ein Fluch! Rechthaberei auch! Wie er immer wieder rechthaberisch gesagt hat: »Ich esse meine Suppe nicht!« – genau wie der Suppenkaspar, nicht auszuhalten! Unerträglich!
Jetzt kommt der Große zurück in die Küche, um wie allabendlich vor seinem Schlafengehen noch eine Stunde zu lesen. Gerade meint Tutti, den Heinz auf der Treppe zu hören, und sie hätte ihn gerne bei seiner Rückkunft allein gehabt. Also wird Gustav zurückgeschickt, er hat natürlich vergessen, dem Kleinen
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