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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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für sie geblieben. Otto wird schnell umlernen – Gustav werden sieerst tüchtig in der Schule verspotten, diese Inselkinder sind ein rauhes Geschlecht!
    Tausend Gedanken und Überlegungen – wie es im Haus aussehen wird? Sie ist sicher in dem Haus gewesen, aber sie kann sich nicht daran erinnern. Sie versucht es, einen Augenblick hat sie das dunkle Dämmern einer mit Backstein ausgelegten Diele vor sich, der weiße Sand, mit dem sie bestreut ist, knirscht unter ihren Füßen, der große gemauerte Herd mit dem offenen Schornstein darüber, durch den man am hellen Mittag die Sterne am Himmel sehen konnte, ein nie völlig aufgeklärtes Wunder der Kinderzeit – aber es ist ja ihr Elternhaus, an das sie denkt! Dort tickt im dunklen Gehäuse die Wanduhr, auf deren Zifferblatt Blumen gemalt sind – aber nicht ihr Elternhaus hat sie geerbt.
    Sie sieht auf die Küchenuhr, ein häßliches Ding mit einem Zifferblatt aus Steingut. Plötzlich hält sie es nicht mehr aus. Heinz muß sofort von dieser Erbschaft erfahren, er muß davon noch vor den Kindern wissen.
    Sie nimmt ihren Mantel, verschließt die Wohnung, gibt den Schlüssel bei der Nachbarin für die Kinder ab und macht sich auf den Weg. Es ist ein sehr weiter Weg für eine so schwächliche Frau, wie sie ist, es ist auch ein schwieriger Weg. Die Steinplatten sind glatt vom Schnee, und mit der Streupflicht nehmen es die Hauswirte nicht so genau, viel wichtigere Pflichten werden in diesen Tagen vernachlässigt. – »Na, denn Hals-und Beinbruch!« sagt der Berliner lachend, wenn sich wieder jemand auf das Pflaster setzt …
    Sie darf das Fallen nicht riskieren, sie ist überzeugt, bei ihr würde es wirklich mindestens ein Beinbruch. Sie geht ängstlich und vorsichtig. Einmal schaut sie sehnsüchtig nach der elektrischen Bahn, aber eine noch gar nicht sichere Erbschaft darf nicht leichtsinnig machen. Hin-und Rückfahrt kosten einen halben Tagelohn – nein, unmöglich.
    Sie geht mit gerunzelter Stirn ihren Weg, sehr mit ihm beschäftigt, aber auch sehr mit ihrem Besuch auf der Bank beschäftigt. Sie läßt Heinz ungern herausbitten, sie weiß, daswird nicht gerne gesehen. Aber heute muß einmal eine Ausnahme gemacht werden, sie muß ihn sprechen!
    Endlich ist sie in der Eingangshalle des Bankgebäudes und trägt dem Herrn Portier ihre Bitte vor, Herrn Hackendahl für einen Augenblick herunterzurufen, Herrn Heinz Hackendahl von der statistischen Abteilung.
    Der Portier ist sehr beschäftigt damit, Bleistifthäkchen hinter einer Reihe von Namen zu machen. Aber endlich entschließt er sich, sieht sie an und fragt: »Wer sind Se denn?«
    »Ich bin seine Schwägerin«, erklärt Gertrud Hackendahl. »Herr Hackendahl wohnt bei uns.«
    Der Portier tut noch immer weiter nichts, als Häkchen hinter Namen zu setzen. Als er die Seite erledigt hat, setzt er noch ein Häkchen hinter das Häkchen.
    Nachdem wieder genug Zeit vergangen ist, der Bittstellerin begreiflich zu machen, eine wie wichtige Person der Portier im Direktionsgebäude einer Bank ist und eine wie unwichtige Person die Bittstellerin, fragt der Portier: »Was soll er denn?«
    Gertrud ist sich vollkommen klar darüber, daß der Portier sie ein bißchen auf eigene Rechnung schikaniert. Vielleicht hat er auch einen Privathaß auf Heinz, oder vielleicht mag er Buckel nicht leiden. Jedenfalls will sie Heinz sprechen, und so sagt sie: »Eine eilige Familiensache.«
    Der Portier knifft die Liste sorgfältig zusammen, legt sie in ein Fach, nimmt dann den Klemmer von der Nase, putzt ihn, setzt ihn wieder auf, sieht Gertrud durchbohrend an und sagt: »Herr Hackendahl ist nicht im Hause.«
    Und nimmt die eben fortgelegte Liste wiederum aus dem Fach.
    Einen Augenblick ist Gertrud vollkommen verwirrt. Sie hat es nie anders gewußt, als daß Heinz seine ganze Arbeitszeit in diesem Hause in einem bestimmten Zimmer absitzt, mit etwas beschäftigt, was sich Statistik nennt – und nun ist er nicht im Haus!
    »Ach bitte …!« sagt sie zu dem Portier.
    Der wendet den Blick von der Liste und sieht sie durch den Klemmer an.
    »Darf ich hier wohl warten?«
    »Von mir aus!« sagt der Portier und sieht zu, wie sie sich in einen Sessel der Halle setzt, den Blick auf die Eingangstür gerichtet, um Heinz gleich anzusprechen, wenn er zurückkommt. Der Portier hat erst drei oder vier andere Besucher abzufertigen, bei einigen ist er sehr höflich, während er zu einem kleinen, verfroren aussehenden Boten noch unhöflicher als zu ihr ist …
    Dann

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