Der eiserne Gustav
ob er den »väterlichen Freund« anrufen solle oder nicht. Jemehr Zeit verging, um so nebuloser und betrunkener erschien jene Nacht der Volkstrauer über den Ruhreinbruch, und betrunkene Sachen darf man nicht wichtig nehmen. Er war betrunken gewesen, der andere war betrunken gewesen, alle waren sie betrunken gewesen, und da unter Trunkenheit bekanntlich das Gedächtnis leidet, brauchte man überhaupt nicht mehr zu wissen, was tatsächlich vorgefallen war. Er jedenfalls hatte nur höchst nebelhafte Vorstellungen von dem Abend.
Oft hatte er den Hörer schon in der Hand und legte ihn still zurück, wenn das Amt sich meldete, oder verlangte eine andere Nummer … Trotz mangelnder Erinnerung hatte die Väterlichkeit einen Riß bekommen, die Freundschaft war beschädigt …
Um so eifriger war er damit beschäftigt, all seinen Besitz in Geld zu verwandeln, und zwar in wertbeständiges. Mit der Villa in Zehlendorf hatte er Glück, er verkaufte sie, mit Drum und Dran und Drin, an einen valutastarken Ausländer, der mit einem an der Londoner Börse erworbenen Vermögen halb Berlin aufzukaufen gedachte. Er hatte noch besonderes Glück, denn die beiden Herren waren sich einig, daß Vater Staat oder, exakter gesagt, das Finanzamt möglichst gering an dem Geschäft beteiligt wurde. So machten sie eine kleine Schiebung: Erich wurde Besitzer einer norwegischen Kronen-Forderung an ein Amsterdamer Haus, und der Ausländer zahlte pro forma auf einen weit zurückdatierten Kaufvertrag ein paar Millionen Papiermark.
Ähnlich glückliche Geschäfte gelangen beim Verkauf seiner Firma, bei der Eintreibung seiner Forderungen, beim Abstoßen seines Autos – und am Vorabend seiner Abreise konnte Erich sagen: »Alles, was ich besitze, ist draußen …«
Zufrieden ging er in seinem Hotelzimmer auf und ab, freute sich, daß er die Reste seiner lumpigen Papiermark noch in einem Pelz, einer goldenen Uhr und einem Brillantring hatte anlegen können, und überlegte, ob die Herren Zollbeamten ihm mit seiner durchweg nagelneuen Ausstattung Schwierigkeiten machen würden oder nicht.
Wozu aber hat man Beziehungen? Erich griff zum Telefon, nannte die Geheimnummer des Reichstagsabgeordneten, und eine halbe Minute später klang die alte sanfte, ein wenig spöttische Stimme an sein Ohr …
»Tag, Erich. – Ich wollte dich auch schon anrufen. – Ja, natürlich, es war ein bißchen zuviel geworden. – Die Kerls pantschen einem aber auch ein Gesöff zurecht. – Ganz richtig, ich hatte tagelang – wie eine Vergiftung. – Richtig, richtig, ich kann mich kaum noch erinnern … Ganz dunkel, wir müssen dann noch weitergegangen sein … Mein Arzt meinte, Methylalkohol könnte solch eine Wirkung haben. – Und dabei kostet der Sekt zehn Dollar, toll! – So, wirklich? Nein, das ist ja großartig – wirklich? Und tatsächlich Brüssel? – Wieso eigentlich Brüssel? Liegt dir besonders daran? Nicht besonders, du hast da keine besonderen Beziehungen? – Nur vom Kriege her, ja, natürlich, verstehe, verstehe … Warte mal, Erich, hast du’ne halbe Stunde Zeit? – Ich hätte dir da eventuell einen Vorschlag zu machen. – Großartig! In deinem Hotel? Gut, ausgezeichnet! Also, ich bin in einer halben Stunde in deiner Hotelbar. – Auf Wiedersehen, alter Junge. War vernünftig von dir, daß du mich noch angerufen hast …«
Lächelnd hatte Erich wieder angehängt … Alles in bester Butter, dieser alte Fuchs, mangelndes Erinnerungsvermögen, Sekt mit Methylalkohol – nun gut! Die Hauptsache, er kam! Sie müßten nicht Sie sein, Herr Doktor, wenn Sie nicht auch ganz gern ein paar Pfunde, Dollars, norwegische Kronen verdienten!
Dann also fand die denkwürdige Unterredung in der kleinen gemütlichen Hotelbar statt. Noch nie war der Anwalt so väterlich freundlich gewesen, noch nie Erich so sohnhaft folgsam. Da saßen sie, ein nicht unvermögender, junger, unternehmungslustiger Kaufmann, am Vorabend seiner Abreise, gewillt, sein Glück in der weiten Welt zu suchen, und der erfahrene Reichstagsabgeordnete, väterlich bereit, ein letztes Mal seinem Schützling mit Rat und Tat beizustehen.
Was den Rat anging, so war der Abgeordnete entschiedengegen Brüssel. Brüssel war als Devisenbörse zweitrangig. In der Stadt Amsterdam aber begaben sich große Dinge, dort wurden ungeheure Schlachten um die Mark geschlagen. »Und die Mark, darin waren wir uns ja einig, wird dein Hauptbetätigungsfeld sein. Was die Mark anlangt, könnte ich dir unter einem ganz einfachen
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