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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Aufmachung Geheime Sanitätsräte und Professoren in die Charité gefahren hatte – wenn man heute an so etwas dachte, mußte man einfach lachen. Daß man es einmal so gehabt hatte und sich dabei noch Sorgen gemacht hatte, das war einfach lachhaft!
    Und es kamen die Zeiten, da dachte man wieder an diese Paketfuhren zurück als an recht angenehme Zeiten. Der Geier mochte es holen, aber auch mit den Paketfuhren hörte es langsam auf. Manchmal, wenn Gustav Hackendahl jetzt die Straßen entlangfuhr, Fische angeln, wie er das nannte, sah er noch einen seiner alten Bekannten, einen Boten … Er schob eine Zweiradkarre mit ein paar Paketchen darauf, oder er trug auch seine Last ganz bequem unter dem Arm.
    »Na, Erwin, wie klappt der Laden? Dir sieht man ja jar nich mehr! Ihr habt wohl nischt mehr zu fahren?«
    »Fahren? Hau bloß ab, Justav. Ick versteh immer fahren! Jawoll, fahren – Schlitten fahren se mit uns! ›Betrieb vakleinern, Unkosten varringern, abbauen‹, krächzt der Chef. Mir hat er ooch zum Ersten jekündicht …«
    Schlechte Nachrichten, traurige Nachrichten – schließlich gar keine Nachrichten mehr! Schließlich traf er sie nicht mehr, der eiserne Gustav, seine Freunde, die Kontorboten, mit ihren messerscharf gebügelten, unglaublich hellen und unglaublich weiten Shimmyhosen, sie waren verschwunden, verweht – als hätte es sie nie gegeben.
    Dem alten Gustav war es nun oft, als sei er wirklich uralt, als komme er mit seiner Droschke und seinem Zossen aus Urzeiten her, habe alles erlebt und überdauere alles. Jetzt war es schon manchmal so, daß die Gepäckträger ihm Fremde zuschickten, und er erzählen mußte, wie es vor zwanzig, dreißig Jahren hier ausgesehen hatte und dort, wie sie die Kaiser-Wilhelm-Kirche gebaut hatten, wie der Kurfürstendamm WW genannt wurde, was aber Wilder Westen bedeutete, wie sie nochmit Kremsern eine Tageslandpartie nach Hundekehle machten, wie sein Schimmel mit einem Auto um die Wette lief …
    »Ja«, sagte er dann. »Det war allens anders, allens hat sich vaändert. Bloß ick nich – ick bin nämlich eisern! Darum nennen se mir alle den eisernen Justav!«
    Aber er hatte sich eben doch verändert. Er war nicht stehengeblieben, das gab es nicht. Er schwamm auch im Strom seiner Zeit, er war ein Teilchen seines Volkes. Er konnte sich dem nicht entziehen, was sein Volk erlebte, er mußte weiterleben. Immer mit dem Gedanken an Muttern zu Haus, Mutter, die auf ihn wartete, so angstvoll, leider so sehr angstvoll. Wenn er da auf seinem Bock wartend saß, oder eigentlich nicht wartend, mehr vor sich hin dösend, so dachte er oft an Mutter, die auf ihn wartete. Wenn es spät wurde mit ihm, legte sie sich wohl ins Bett, aber sie schlief nie ein, ehe er kam.
    Dann hob sie den Kopf vom Kissen und fragte angstvoll, ach, so sehr angstvoll: »Na, Vater?«
    »’n Abend, Mutter. Jut zuweje?«
    »Ist was, Vater?«
    »Nee, heute nich, Mutter. Na laß man, morjen jeht’s um so besser!«
    »Ach, Vater …«
    Es war so schwer, ihr zu sagen, daß er gar nichts nach Haus brachte. Ohne Mutter, dachte er, hätte es ihm nicht so viel ausgemacht. Er wäre schon mit Brot und Speck und einem Topf Kaffee zufrieden gewesen, wenn nur der Gaul sein Futter hatte … Aber Mutter war wie ein Kind, sie glaubte, sie müsse gleich verhungern, wenn es nicht einmal am Tage warm zu essen gab.
    So hielt er einen Teil seines Geldes zurück, wenn er einmal einen guten Tag gehabt hatte, um ihr am nächsten auch noch etwas geben zu können. So gab er sich Mühe, grübelte über neue Fuhrgelegenheiten nach, wurde nicht bequem, ließ sich nicht gehen. Vielleicht war es sogar sehr gut, daß Mutter mit ihrer ewigen Angst und Stöhnerei da war – es gab so viele Menschen, die jetzt einfach versackten, es lohnte sich für sienicht mehr. Bloß keine Anstrengung, es half doch alles nichts …
    Der alte Hackendahl aber strengte sich an, er grübelte. Wenn es mit den Reisenden nicht mehr ging, wenn es mit den Paketfuhren nichts mehr war, so mußte es eben mit den Nachtfuhren etwas werden! Irgendwie mußte es werden, irgendwie mußte er für Muttern das Geld heranschaffen!
    Nun wurde wieder einmal der Tag mit der Nacht vertauscht. Am späten Abend erst spannte Gustav an, Nacht war es, wenn er in den Westen fuhr. Aber er fuhr nicht mehr zum Zoo, er fuhr die stillen, halbdunklen Straßen des alten Westens ab. Leer hallte der Hufschlag des Pferdes von den grauen, kaum beleuchteten Häusern wider. Es war so still, trostlos still

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