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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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zum letzten Male auf der Anklagebank gesehen. Sie hatte nicht einmal zu ihrem Vater hinübergeschaut. Nur diesen Kerl, schräg vor ihr, hatte sie immerzu angesehen. Ihre Zeit mußte jetzt ungefähr herum sein, aber nein, er wollte sie nicht wiedersehen! Nie!
    Und dann kam eine Herbstnacht, eine Oktobernacht. Ein wütender, stoßweiser Ost, wie er selten in Berlin weht, jagte den Regen in schweren, klatschenden Schlägen durch die verödeten Straßen. Hackendahl hatte dem Rappen die Wachstuchdecke übergelegt. Aber es half nichts, der Wind schlug sie immer wieder klatschend gegen die Flanken des Gauls. Alles triefte. Es blieb nichts, als nach Haus zu fahren. Wenn auch ohne Geld. Es kam doch niemand.
    Er war schon auf der Heimfahrt, als er von der Tür eines Cafés angerufen wurde: »Heh, Kutscher!«
    Der Herr im Gummimantel kam zu ihm gelaufen, froh, endlich eine Fahrgelegenheit gefunden zu haben. »Kutscher, fahren Sie mich … Das heißt, ich habe da noch ’ne Dame,hat ein bißchen viel geladen, na, wir schaffen das schon … Wo fahren wir hin? Nicht zu teuer, wissen Sie!«
    »In Ordnung. Sechs Eier die Nacht für Sie und die Dame, und Sie brauchen morjens auch nicht gleich raus. Aber machen Se’n bißken schnell, mein Zosse is keen Freischwimmer, der ersauft mir noch!«
    Der Herr brachte das Mädchen aus dem Café, setzte es in die Droschke.
    »Los! Ab dafür!«
    Der Vater fuhr die Tochter, die ihn nicht erkannte, die er nicht erkannte, in das Absteigehotel.
    Manches erspart das Leben seinen Menschen eben doch.

3

    Schon drei Tage voraus hatte den alten Hackendahl eines jener Dienstmädchen bestellt, die es eigentlich gar nicht mehr gab, eine Alte mit weißer, gestärkter Latzschürze und Häubchen, mit zwei langen, weißen Bändern bis ins Kreuz: Am Donnerstag, pünktlich um zehn Uhr vormittags, solle er vor dem Hause Neue Ansbacher 17 halten und ihre Herrin, die alte gnädige Frau, in eine Klinik fahren.
    »Jeht in Ordnung, Frollein!«
    »Aber nicht vergessen! Zehn Uhr!«
    »In Ordnung!«
    Am nächsten Tage faßte sie ihn schon wieder ab – ob er auch daran denke?
    »Der Laden klappt, Frollein. Übermorgen. Zehn Uhr vormittags. Neue Ansbacher 17.«
    Mit seinem Gedächtnis war sie zufrieden, aber ob er wirklich vorsichtig fahre? Ob er sich vor den Autos in acht nehme? Die alte Gnädige hasse die Automobile. Sie habe noch nie in einem Automobil gesessen. Seit einundzwanzig Jahren sei sie nicht mehr aus der Wohnung gekommen. Sie sei doch schon dreiundneunzig!
    »Ick paß schon uff, Frollein. Ick bin ooch bald siebzig.«
    »Und ich bin dreiundsechzig.«
    Sie lächelten sich an, sie waren beide sehr stolz, wie weit sie es gebracht hatten.
    »Aber mit dreiundneunzig – da sollte se doch nich mehr uff de Straße … Wo se’s doch jar nich mehr jewöhnt is. Det muß ihr doch wirre machen …«
    »Aber sie muß doch in die Klinik zur Operation! Der Herr Geheimrat verlangt es, sie soll sonst nicht wieder gesund werden!«
    »Icke, wenn ick so alt wäre, ick ließe nich mehr an mir rumschnippeln, Frollein. Ick ließe allens, wie es is.«
    »Aber sie will! Sie will durchaus! Sie will hundertelf Jahre werden – sie sagt, das ist so ’ne schöne Zahl, die hat sie sich schon als junges Mädchen vorgenommen …«
    »Na ja«, meinte Gustav. »Wir Ollen, wir sind noch’n anderet Kaliber als det junge Jemüse heutzutage. Wat wir ausjehalten haben, det halten die im Leben nich aus! Wir sind eisern!«
    Und damit fuhr er weiter.
    Wurde am nächsten Tage noch einmal erinnert und brachte – »Ick rede jejen meinen eijenen Vorteil« – doch einen Krankenwagen in Vorschlag. »Denn, Frollein, dreiundneunzig und Droschke, det stuckert doch’n bißken, und’n Krankenwagen is doch allens Jummi un Federn …«
    »Aber sie will nicht! Der Herr Geheimrat hat ihr einen Krankenwagen bestellt, zu elf, aber so ist sie, sie fährt heimlich ’ne Stunde früher mit ’ner Droschke … Sie lacht schon jetzt, wenn sie daran denkt, wie sie den Herrn Geheimrat an der Nase herumführt …«
    »Det muß ja die richtije Nummer sein, Ihre Jnädije …«
    »Und ob! Was sie will, das will sie, und was sie nicht will, das tut sie nicht. Krankenwagen ist Auto, und Auto will sie nicht. ›Auto is Benzin‹, sagt sie, ›und Benzin, wenn man’s ansteckt, geht in die Luft. Alle Autos gehn noch mal in die Luft‹, sagt sie …«
    »Na, na«, sagte Hackendahl und wiegte den Kopf, »mir sollte es recht sind, aber ick jloobe nich mehr daran …«
    Und am

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