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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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abgebaut.
    Natürlich wußten die Versammelten, was ihnen bevorstand. Aber in den meisten Fällen nahmen sie es nicht tragisch.Bisher hatte es immer Arbeit gegeben, wirkliche Arbeitslosigkeit kannte fast noch niemand.
    »Ich hatte den Laden hier längst über …«
    »So schnuppe! Ich kann jeden Tag als Auslandskorrespondent …«
    »Die werden sehen, wie sie ohne mich zurechtkommen!«
    »Bitte, der nächste!«
    Als Heinz Hackendahl aber eintrat in das Büro des Personalchefs, sah er etwas anderes: einen älteren Angestellten, einen glatzköpfigen Mann, dem der Personalchef ein Glas Wasser einschenkte.
    »Beruhigen Sie sich doch! Herr Tümmel! Sie bei Ihren Fähigkeiten, morgen haben Sie wieder eine Stellung …«
    »Was soll ich tun? Was soll ich nur tun? Keine Bank stellt so alte Leute ein! Die Angestelltenversicherung ist auch entwertet …«
    »Bitte, bitte, Herr Tümmel, beruhigen Sie sich, bitte, achtzig Herren warten noch draußen! Wenn ich mich bei jedem so lange …«
    »Fünfunddreißig Jahre habe ich hier gearbeitet, und nun setzen Sie mich auf die Straße!«
    »Aber wer redet denn von Straße!? Herr Tümmel – tüchtig wie Sie! Und wir …? Das sind doch nicht wir, das sind doch die schlimmen Zeiten, wir haben diese Zeiten doch nicht gemacht …«
    »Millionen habe ich für die Bank verdient, und jetzt … Aber das sind die Kapitalisten …«
    »Ich bitte, Herr Tümmel, ich bitte doch sehr! Wir wollen nicht von Politik reden, ich habe wirklich keine Zeit mehr. Bitte, Fräulein, bringen Sie Herrn Tümmel auf sein Zimmer. – Also, Herr Hackendahl, Sie wissen ja, um was es sich handelt … Gezwungen, einzuschränken … Bedauern, wertvolle Dienste … bei günstiger Konjunktur eventuell Neueinstellung …«
    Der Personalchef leierte wie ein Automat. Er leierte an diesem Vormittag schon zum fünfzigsten Male. Nun aber juristisch einwandfrei und exakt: »Kündigung zum ersten Juli.Es wird Ihnen freigestellt, unter sofortiger Erhebung Ihres Gehaltes bis zum dreißigsten Juni schon jetzt Ihren Arbeitsplatz zu verlassen …«
    »Ich kann also schon morgen fortbleiben!«
    »Jawohl, natürlich. Sie sehen, wir sind entgegenkommend. Aber solche Herren, solche alten Angestellten, die wollen das nicht einsehen – er sagt immer: fünfunddreißig Jahre Dienst. Aber er hat doch auch fünfunddreißig Jahre sein Gutes von der Bank gehabt. Daran denkt der Mann gar nicht. – Bitte, unterschreiben Sie, daß Sie Ihre Kündigung erhalten haben!«
    »Kriegt der Mann denn noch ’ne Stellung?«
    »I wo! So ein alter Krauter! Der kann sich doch gar nicht mehr umgewöhnen! Ich habe ihn vor zwei Jahren mal in ein anderes Zimmer setzen wollen, verstehen Sie, nur drei Zimmer weiter, genau dasselbe Zimmer, die gleiche Größe, die gleiche Einrichtung – Gott, hat der Mann einen Spektakel gemacht! Er sagt, er hat Heimweh! Gibt’s denn so was: Heimweh nach einem Bürozimmer?! Nee, mit dem Tümmel ist es aus. – Ja, Fräulein Schneider, haben Sie’n expediert? – Also, bitte, der nächste! Auf Wiedersehen, Verzeihung, guten Tag, Herr Hackendahl!«
    Heinz ging zu seinem Büro. Er hatte ein volles Vierteljahr Ferien vor sich. Das hatte es noch nie gegeben in seinem Leben! Würde Irma sich freuen! Man konnte verreisen, man hatte ja Geld! Nach Hiddensee? Zu Tutti? Es war herrlich! Was diese Rentenmark doch alles Gutes brachte!
    Im Vorübergehen sah er eine offene Bürotür. Da saß, umringt von teilnehmenden Kollegen, Herr Tümmel. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und rief schluchzend immer von neuem: »Nie kriege ich wieder ’ne Stelle! Nie!«
    Der arme Kerl, er würde wirklich keine Stellung mehr bekommen. Wie schlimm war es, alt geworden zu sein! Heimweh nach einem Büro! Wie gut war es, noch jung zu sein! Er würde immer Arbeit haben, manchmal mehr, als ihm lieb war!
    Er packt auf seinem Büro die Sachen zusammen. Er verabschiedetsich von den Kollegen. Dann geht er zur Kasse und bekommt anstandslos sein Gehalt für drei Monate ausgezahlt. Fünfhundertvierzig Goldmark. Er hat noch nie so viel selbstverdientes Geld bei sich getragen. Das macht ihn unternehmungslustig. Auf dem Heimwege steht er lange vor einer Elektrohandlung, sieht ins Schaufenster, murmelt mit sich, rechnet …
    Schließlich betritt er den Laden. Er verhandelt lange mit dem Verkäufer, seltsame Worte werden laut, die er bisher nur las. Dann erhandelt er grüne Drähte und braune Schnüre, ein Brettchen, auf dem sonderbare Dinge montiert sind, lauter

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