Der eiserne Gustav
immerzu Strauß. Kein Gedanke an Wagner! Und warum bist du gekündigt?«
»Arbeitsmangel! – Über hundert Mann haben sie heute gekündigt! Abbau nennen sie das, auch eine neue Erfindung! Und ich sage dir, Irma, da war ein Mann, von der Effektenabteilung, schon älter, der hat so geweint …! Der denkt, er kriegt nie wieder ’ne Stellung. Na ja, bei dem ist es ja wirklich schwierig, der ist schon alt …«
»Und du …?«
»Ich? Ich krieg doch immer ’ne Stellung! Ich bin doch jung. Ich kann doch arbeiten! Wer richtig arbeiten kann, wird immer verlangt! Ach, Irma, mach bloß kein Gesicht! Jetzt fahren wir erst mal zu Tutti … Und dann …«
»Und dann?«
»Wird sich alles finden! Irma, mach Essen, aber leise, ich will sehen, daß ich das Dings hier weiter befummle. Das istwas Herrliches – Musik aus der Luft. Marconi, weißt du … Ach, Mensch, Irma, im Grunde bin ich schrecklich glücklich – Radio und Urlaub!«
»Und keine Stellung!«
»Kriege ich immer!«
»Das stimmt, fleißig bist du. Und auf Hiddensee freue ich mich auch schrecklich! Es wird schon alles werden!«
2
Die Zeit der valutenstarken Ausländer war vorüber, es gab für Vater Hackendahl keine trinkfröhlichen Amerikaner mehr; seit die Mark fest und das Leben nicht billiger in Deutschland war als in anderen Ländern, seit man nicht mehr Häuserblocks für ein Monatseinkommen und Pelze für ein Trinkgeld kaufen konnte – seitdem verödete Berlin. Das Ausland überließ Deutschland sich selbst. Mochten sie glücklich werden mit ihren ewigen Streitereien zwischen Reich und Ländern, Bayern und Preußen, Reichswehr und Reichswehr. Mochten sie sich weiter zanken über Fürstenabfindung und Flaggenfrage – wenn sie nur zahlten! Dies war – neben der restlosen Entwaffnung – die einzige Frage, die das Ausland noch interessierte.
Wenn aber der eiserne Gustav am frühen Morgen die trübe Kaiserallee hinunterzockelte zum Bahnhof Zoo, so war die einzige Frage, die ihn interessierte, ob es heute eine Fuhre geben würde oder nicht. Es gab Tage, an denen es überhaupt keine Fuhre gab, düstere Tage, schwarze Tage. Wo er den ganzen Tag hinten an der Ankunftseite des Bahnhofs hielt, die Autotaxen kommen und abfahren sah, und kein Gepäckträger rief: »Eine Taxe erster Jüte mit Hufeisen! – Na, Justav, wie is et? Trauste deinem Rappen noch ’ne Landpartie bis zum Knie zu?«
Die Wahrheit zu sagen, auch die Autotaxen hatten flaue Zeiten. Hackendahl sah das ein. Er hatte sich auch daringeändert: Er verachtete Chauffeure nicht mehr, er redete mit ihnen, er gab zu, daß sie ähnliche Menschen waren wie er, mit ähnlichen Sorgen.
»Ihr habt et jut«, sagte er wohl. »Euer Zosse frißt nich, wenn er nich arbeitet!«
»Aber die Steuern, Justav!« seufzten sie. »Bedenke die Steuern! Autosteuer, Gewerbesteuer – ob wir fahren oder nicht …«
»Jewerbe zahl ick ooch«, sagte Hackendahl.
»Wat denn? Wat denn. Mann?! Deine fünf Piepen! Aber wir …!«
Nein, es war kein Grund, neidisch zu sein. Wenn man nur selbst eine Fuhre kriegte, die sich lohnte! Aber damit sah es immer fauler aus! Eine Weile ging es noch mit Paketefahren, ja, die Hackendahlsche Droschke erster Klasse war eine Zeitlang eine Konkurrenz der Berliner Paketfahrt. So gegen Abend, kurz ehe sie bei der Post zumachten, ehe die D-Züge nach dem Westen fuhren, kamen die Büroboten.
»Na, Justav, wie is et? Und du faßt doch ooch een bißken an? Für ’ne Molle und ’nen Korn?«
»Mach ick. Tu ick allens! Wenn ihr Brüder bloß nich immer im letzten Momang kommen wolltet! Nu muß allens in einem Karacho jehn!«
»Na, Justav, nu schimpf man nich. Dein Vorwärts schafft es schon, der hat den jewissen Zislaweng! Ab dafür!«
Dann luden sie in irgendeinem Geschäft Pakete auf, die ganze Droschke randvoll, daß der Kontorjüngling nachher neben Gustav auf dem Bock thronen mußte. Paketmassen, die in den letzten zehn Minuten auf der Post angeschleppt wurden, zur Wut der Postbeamten, oder Expreßsendungen. »Wir müssen den D-Zug nach Köln noch schaffen, Justav, oder der Chef setzt mir raus. Jib dem Blücher Saures!«
Das waren noch immer die besten Fuhren für Hackendahl. Diese Kontorburschen waren keine schlechten Fuhrherren, immer vorneweg mit dem Maulwerk, immer, trotz aller eigenen Miseren, bereit, einen Witz zu machen undüber einen Witz zu lachen, und gar nicht geizig, was die Fahrgelder anging …
Es war natürlich unfaßbar lange her, daß Gustav Hackendahl in erstklassiger
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