Der eiserne Gustav
keine Krume Brot mehr und keinen Pfennig, was zu kaufen!«
So schrie der, und es half gar nichts, daß der Nachbar hinter Heinz Hackendahl flüsterte, der Bruder gebe bloß an, die letzte Unterstützung habe er gleich am Zahltag versoffen. Manchmal war es vielleicht wahr, und manchmal war es geschwindelt. Aber es war schlimm, daß die Menschen sich voreinander so nackt und schamlos zeigten …
Und dann war auch schlimm, wenn einen der Nachbar darauf aufmerksam machte, daß der Vordermann nicht nur einen Stempel auf seine Karte gedrückt kriegte, sondern gleich den von gestern und vorgestern mit. »Der hinter dem Schalter hat das Parteibuch, und der vor dem Schalter hat auch das Parteibuch, und wenn du noch mal was anderes werden willst, alswas du jetzt bist, so besorge dir schnell so ein Büchlein. Du sollst sehen, wie der Laden plötzlich funkt!«
Solches Gerede hatte Heinz ja schon auf seiner Bank gehört. Aber er hatte es nicht beachtet. In der Wartehalle der Stempelstelle hing ein großes Schild: »Politische Gespräche sind streng verboten.« Aber das Schild war wirklich völlig nutzlos, denn alle, die da warteten, redeten von Politik. Wenn sie nicht von ihren eigenen Schicksalen redeten, so sprachen sie von Politik.
O Gott, wie Heinz Hackendahl diese Stempelstelle hassen lernte, mehr konnten auch die gekränkten Anwohner sie nicht hassen! Dieses trostlose Grau, diese Gestalten, die immer grauer zu werden schienen, diese ewig gleichen Gestalten, die Schimpfer und die Verbissenen und die Skatbrüder und die Neidhammel. (Auf was alles man neidisch sein konnte! »Der hat’s gut! Der hat bloß ein Bein. Der kriegt noch Rente! So gut möcht ich’s auch haben!«) Und die Kollegen, die ihre jämmerliche Eleganz aufrechterhielten und alle Tage mit neuen Geschichten kamen, welche schicken Weiber sie in der letzten Nacht ausgeführt hatten … Und die anderen Kollegen, die sich ganz plötzlich aufgaben, deren Anzüge gewissermaßen von heute auf morgen fleckig aussahen … Und plötzlich hatten sie statt Schnürsenkel Bindfäden in den Schuhen und Löcher in den Jackenärmeln …
Das ging aus dem Frühjahr über den Sommer hin, und manchmal war der Himmel strahlend blau, die Sonne schien, in den kleinen Villengärten war jedes Fliederblatt frisch. Sie aber waren alt und grau. Ihr Leben verrann mit Stempeln, für sie gab es keinen Sommer. Für sie gab es nur noch eines: stempeln gehen. Das war wie eine Krankheit, die einen ergriff, die jede Freude tötete, jede Lust lahmlegte, die nach und nach, langsam und allmählich von dem ganzen Menschen Besitz ergriff.
Da konnte man schon trübe, müde, trostlos nach Haus kommen und konnte sogar neidisch auf Irma werden, die in ihrem Haushalt herumwirtschaftete, für die es keine Arbeitslosigkeitgab, nein, die wegen des Kindes Otto sogar mehr als früher zu tun hatte …
Er setzte sich auf einen Stuhl und sah ihr zu und wußte, daß er heute den ganzen lieben langen Tag keine andere Beschäftigung haben würde, als ihr zuzusehen.
Nach einer Weile sah sie sich zwei-oder dreimal nach ihm um und sagte: »Du machst einen ganz kribblig mit deinem Zusehen, Heinz. Komm, versuch mal, ob du Babys Wäsche waschen kannst …« Und manchmal stellte er sich dann an das Waschbrett und fing an zu rubbeln. Aber selbst, wenn ihm die Arbeit gelang, konnte sie ihm keine Freude machen, denn um Freude zu machen, muß Arbeit einen Sinn haben. Bloß arbeiten, um zu arbeiten, als Zeitvertreib gewissermaßen, ist blöd.
Darum gab er es auch bald wieder auf, oder sie nahm ihm die Arbeit aus der Hand und sagte: »Laß man, Heinz. Ich wollte dich ja nicht ärgern. Bloß, es kann einen wild machen, wenn man dich was tun sieht. Es sieht immer so aus, als wolltest du einschlafen. Ich weiß, ich weiß schon, und du tust mir auch leid. Aber könntest du nicht etwas anfangen? Du könntest dich doch mal nach deinen alten Freunden umsehen. Oder besuch mal deinen alten Schullehrer. Das war doch schon lange dein Plan!«
»Meinst du?« fragte Heinz. »Ich weiß nicht, es sieht fast aus, als sollte es Regen geben. Aber vielleicht möchte ich doch gehen …«
Eine Weile drückte er sich noch unentschlossen in der Wohnung herum. Aber dann, als Irma ihn noch ein bißchen anstieß, ging er doch los.
12
Er hatte nun den Professor Degener eine ganze Reihe von Jahren nicht mehr gesehen – eigentlich mußte er sich schämen, daß er sich so lange nicht um den geliebten Lehrer gekümmert hatte. Damals, als er in
Weitere Kostenlose Bücher