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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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die Lehre gekommenwar, damals war er noch ein paarmal hingegangen. Aber dann hatte das aufgehört. Es war ganz seltsam gewesen, wie wenig plötzlich zwei Menschen, die sich gerne mochten, miteinander zu reden gehabt hatten. Wie auf einmal merklich geworden war, daß der eine ein Altphilologe und der andere ein Banklehrling war, zwei lächerlich verschiedene Dinge, ohne jedes Verbindungsglied, schien es.
    Jetzt aber ging er wieder zu ihm. Es war schön, wieder den alten Weg zu gehen, das alte Namensschild zu sehen, auf den alten Klingelknopf zu drücken. In einer sehr schlimmen Zeit, da er sich keinen Rat gewußt hatte, war er mehrmals hierhergegangen; jetzt war wieder eine schlimme Zeit.
    Das alte Mädchen von früher machte ihm auf, sah ihm prüfend ins Gesicht und sagte dann: »Ja, ich weiß, Sie sind vom Jahrgang 19. Jawohl, ich kenn Sie noch wieder, wenn Sie auch lange nicht hier waren.«
    »Schlechte Zeiten, Fräulein«, sagte Heinz.
    »Der Herr Professor hat sich sehr verändert. Er ist nicht mehr im Amt, seit er den Unfall gehabt hat. Aber reden Sie nicht mit ihm davon, es regt ihn bloß auf. Und wenn er Sie nicht erkennt, es freut ihn doch. Nein, gehen Sie ruhig rein, Sie stören ihn nicht.«
    Der Professor Degener saß, das Gesicht in die Hand gestützt, am Schreibtisch. Der einstmals flammendrote Haarschopf war nun ganz grau geworden, und als der Professor den Kopf hob und den Besucher anschaute, sah der eine häßliche rote Narbe quer über die einst so schöne, klare Stirn, und auch das eine Auge schien gestört. Das Lid hing tief und bewegungslos über das Auge hinab.
    »Ja, Hackendahl, ich weiß wohl«, sagte der alte Lehrer. »Doch, ich erinnere mich, da waren zwei Hackendahls, aber Sie sind der andere, jawohl. Der andere … Der eine hat mich nie besucht.«
    Der alt gewordene Mann lächelte, es war etwas von dem früheren Humor darin, aber so blaß geworden, so blaß!
    »Wissen Sie, Hackendahl – setzen Sie sich. Sie müssen mireine Frage beantworten. Sie sind nun älter geworden, und Sie füllen Ihren Platz im Leben aus. Aus dem Ring an Ihrer Hand sehe ich, daß Sie verheiratet sind, vielleicht sind Sie jetzt Vater. Sie nicken, Sie ernähren eine Familie …«
    »Leider nein, ich bin arbeitslos, Herr Professor.«
    Der Professor nickte beistimmend. »Ja, ich habe davon gehört, viele sind jetzt arbeitslos. Es scheint ein neuer Beruf zu sein, und kein leichter, wie?«
    »Nein«, sagte Heinz Hackendahl.
    »Nun, immerhin«, sagte der Professor. »Sie füllen Ihren Platz aus. Sie sind etwas. Und nun sagen Sie mir einmal ganz offen, Schüler Hackendahl, hilft Ihnen das, was Sie bei uns gelernt haben, hilft Ihnen das in Ihrem Leben? Gibt es Ihnen noch etwas?«
    Er sah mit dem einen blauen Fritzenauge den ehemaligen Schüler an, das Lid über dem anderen zitterte leise. Der Professor wollte noch keine Antwort, er sprach weiter: »Sehen Sie, ich erinnere mich Ihrer recht gut, Sie waren hinreichend aufgeschlossenen Geistes. Sie haben die Salzluft der homerischen Welt geatmet, und auch der Philosoph Platon war Ihnen nicht nur ein Name. Ja, und nun sagen Sie mir einmal, Schüler Hackendahl, ist von dem allen, was Sie bei uns lernten, noch etwas in Ihnen? Hilft es Ihnen? Freut es Sie?«
    Heinz Hackendahl hatte nie darüber nachgedacht, das lag alles so weit, so weit zurück. Etwas Fremdes, halb Vergessenes, das erst jetzt bei den Worten des Lehrers langsam wieder lebendig wurde. Aber daß er erst überlegen mußte, das war wohl schon eine Antwort auf des Professors Frage, aber diese Antwort dem alten Mann zu geben, scheute er sich.
    »Sehen Sie, Hackendahl«, fing Professor Degener wieder an. »Ich sitze hier viel und denke nach. Nein, ich bin nicht mehr im Amte, seit … seit einiger Zeit nicht. Ich bin auch arbeitslos, aber freilich, ich bin ein alter Mann, ich habe mein Tagewerk hinter mir. Und nun muß ich mich immer fragen: Habe ich mein Tagewerk auch wirklich getan? Ich habe es mir ausgerechnet: Ich habe weit über tausend junge Menschen indie Welt der Griechen eingeführt, aber habe ich sie auch wirklich eingeführt? Daß ihnen etwas davon verblieb?«
    Er hatte das Kinn in die Hand gestützt, und sein blaues Auge sah Heinz Hackendahl so klar und aufmerksam wie nur je an.
    »Keiner hätte es schöner tun können als Sie, Herr Professor!« rief Heinz Hackendahl aus.
    »Sie sollen Ihrem Lehrer keine Zensuren ausstellen, Schüler Hackendahl«, lächelte der alte Mann. »Sie sollen mir antworten, was Sie sich

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