Der eiserne Gustav
sehr einfache Sache …
Aber sie machte traurig, müde, und oft machte sie auch böse …
Da war die Stempelstelle selbst. Sie war in einer kleiner ehemaligen Villa untergebracht, sie lag in einer kleiner Villenstraße. Nichts Vornehmes, um Gottes willen, ganz kleine Pensionäre wohnten da, ehemalige Lehrer oder Prokuristen, die vielleicht gerade noch vor der Inflation das Glück gehabt hatten, von ihren lebenslänglichen Ersparnissen sich diese kleinen Maurermeistervillen mit zweihundert Quadratmetern Garten zu kaufen.
Es wohnten also kleine Leute in der Straße, wo die Stempelstelle lag, zu der noch ein bißchen kleinere Leute gingen. Und doch erfuhr Heinz Hackendahl von den anderen Arbeitslosen, daß die Anwohner dieser Straße Eingabe um Eingabe wegen Verlegung der Stempelstelle machten. Nach Ansicht der Anwohner nämlich schändete die Stempelstelle ihre Straße. Sie entwertete die Villen. Der Kaffee schmeckte den Pensionären nicht, wenn sie die Erwerbslosen vorbeilaufen sahen. Sie gönnten die Stempelstelle einer Straße, in der noch kleinere Leute wohnten.
Was die Herren auf der Stempelstelle zu diesen Eingaben sagten, erfuhr man natürlich nicht. Aber dafür war gesorgt, daß sich immer Schutzleute in dieser Straße aufhielten. Diesahen auf ein gesittetes Benehmen der Erwerbslosen, es durfte nicht geschrien und nicht gesungen werden, man hatte ein Auge auf sie …
Über solche Dinge wurde natürlich von den Arbeitslosen immer wieder gesprochen. Sie hatten viel Zeit, über so etwas zu sprechen, wenn sie da anstanden und auf ihren Stempel warteten. Sie redeten immer wieder davon, sie sprachen mit Leidenschaft, Haß, Erbitterung darüber. Sie gingen an den dürftigen Vorgärten vorüber – o nein, sie vergriffen sich nicht an ihnen, ihretwegen brauchten keine Schutzleute dazustehen! Aber sie sahen mit einem wahren Haß auf diese Gipszwerge, diese Glaskugeln, diese arme kleine Gärtnerei: Wenn die Pensionäre die Erwerbslosen nicht sehen konnten, so zahlten die ihnen das zehnfach zurück!
Dann waren da die Angestellten auf der Stempelstelle. Es war ganz klar, diese Angestellten in den Stuben und hinter den Schaltern hatten nur darum Arbeit, weil die anderen arbeitslos waren. Sie lebten von der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosen waren ihre Arbeitgeber. Da hätten doch, meinten die Arbeitslosen, diese Angestellten ein bißchen höflich zu ihnen sein müssen, jawohl, sie hätten ihre Arbeitgeber freundlich und mit Achtung behandeln sollen!
Aber von solcher Achtung und freundlichen Rücksichtnahme war nicht das geringste zu spüren. Im Gegenteil, die taten alles, um ihren Arbeitgebern das Leben zu erschweren! Immer wieder verlangten sie neue Papiere und Nachweise. Sie schnüffelten im Vorleben der Arbeitslosen herum, sie gaben vor, etwas zu ermitteln, was sie das Arbeitsschicksal nannten. Sie rochen hinter jedem Dreck her, und wenn einer mal Krach mit seinem Werkmeister gehabt hatte, so hieß er widerspenstig, und hatte man sich früher mal krank gemeldet, und der Vertrauensarzt von der Kasse hatte einen wieder gesund geschrieben, so hieß man arbeitsscheu …
Solche Sachen gaben sie einem zu verstehen, die Herren Angestellten hinter den Schaltern, und dann stießen sie die Glasscheibe zu. Sie ließen die draußen warten und frühstückten,ausgiebig aus Stullenpapier und Thermosflasche, und solche redeten von arbeitsscheu! Sie hatten sich wahrhaftig, als seien die paar Groschen, die sie einem zahlten, ihr eigenes Geld! Das waren die Richtigen, denen mußte man es nur einmal zeigen!
Und so zeigte man es ihnen. Alle Tage gab es Krach, in den Stuben und auf den Gängen. Aber die Brüder waren so gemein, sie ließen den, der ihnen mal richtig die Wahrheit sagte, vom Hausmeister heraussetzen, oder sie ließen gar einen Polizisten von der Straße kommen. Das bedeutete, daß man strafweise zwei Tage oder fünf Tage lang keine Unterstützung bekam, bloß, weil die die Wahrheit nicht hören wollten.
Ja, das war schon eine krank und verzweifelt machende Luft, in der man da stand und auf seinen Stempel wartete, manchmal stundenlang. Da konnte einem schon elend werden, wenn einer auf dem Gang schrie, daß er Schaum vor den Mund bekam: Diese Brüder, diese Blutsauger, ihm sperrten sie das Stempelgeld, und daheim konnte er zusehen, wie Frau und Kinder langsam verreckten …
»Ja, du Glotzauge hinter dem Schalter, dich meine ich! Hast du schon deine Kinder abends vor Hunger blarren hören, du Speckjäger, und hast
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