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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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sie wagt es nicht, sie wird immer trauriger. Eigentlich ist ja nichts gegen sonst verändert: wie oft hat Vater Nachtdroschke gefahren! Es ist nicht das Gefühl, daß nun kein Mann mehr im Hause ist …
    Sondern es ist etwas Trauriges, etwas Todtrauriges. Wie er zuerst davon geredet hat, dachte sie, er ist verrückt. Und wie Heinz ihr davon erzählt hat, hat sie gehofft, der Junge gibt es nicht zu. Und wie er krank geworden ist, hat sie geglaubt, es wird nichts daraus …
    Und nun ist doch etwas daraus geworden …!
    Wieder hat er seinen Willen gekriegt. In ihrer ganzen Ehe weiß sie kein einziges Mal, wo er nicht seinen Willen gekriegt hätte. Immer hat sie nachgeben müssen. Das ist etwas Schreckliches, das ist wirklich etwas Todtrauriges. Sie macht Vatern keine Vorwürfe, Vater ist immer gut zu ihr gewesen. Sie wünscht auch nicht, daß irgendwas mit seiner Fahrt schiefgehen möchte – nein, sie gönnt Vatern alles! Nur, sie hätte gern ein einziges Mal ihren Willen gekriegt im Leben! Sie möchte ein einziges Mal wissen, daß sie recht behalten hat. Sie hat sich mit den Kindern gegen ihn verbündet, sie hat ihm nie geholfen – und doch hat er immer recht behalten. Er hat hundertmal, tausendmal unrecht gehabt mit seiner Starrköpfigkeit, mit seinem Anschnauzen – und immer hat er recht behalten! Sie möchte nur wissen, wie das kommt. Es ist ungerecht verteilt im Leben …
    Sie seufzt. Todtraurig sitzt sie und starrt auf die immer einsamer werdende Straße. Sie hat kein Licht gemacht, sie sitzt in der dunklen Stube. Jawohl, in einer dunklen Stube saß sie von eh und je, und nie hatte sie Licht gemacht. Das war ihr nicht gegeben.
    Dies ist ein Mensch, der an den eisernen Gustav denkt, auf seiner Fahrt nach Paris …
     
    Irma und Heinz sitzen am Abendbrottisch, das Kind Otto schläft schon.
    »Vater war noch hier mit seiner Droschke«, berichtet Irma.
    »Was hat er denn gesagt?« fragt Heinz.
    »Ich war nicht hier, ich war plätten. Er hat Mutter all ihre Papierfahnen abgekauft und damit seinen Wagen geschmückt.«
    »Der Mann war ganz durchgedreht«, piepst die Quaasin, die schon im Bette liegt, aus dem dunklen Nebenzimmer. »Mit mir hat er auf der Straße tanzen wollen! So habe ich den Mann noch nie gesehen!«
    »Also fidel war er«, sagt Heinz nachdenklich. »Es war vielleicht doch gut, daß wir ihm seinen Willen gelassen haben.«
    »Natürlich war es gut«, bestätigt Irma. »Vater hat endlich mal wieder eine Freude gehabt!«
    »Aber wenn er wiederkommt? Was macht er dann? Fährt er dann wieder Droschke, und wo bleibt dann seine Freude?« Er bricht ab, versinkt in Gedanken.
    Dies sind zwei andere Menschen, die an den alten Hackendahl denken.
     
    Die Abendzeitungen hatten natürlich eine kurze Notiz über die Droschkenkutscherfahrt Berlin – Paris – Berlin gebracht. So gab es vielleicht doch noch einige Leute mehr, die an den alten Mann dachten.
    Etwa ein paar frühere Kutscher von ihm. »Mutter, das ist der olle Hackendahl, eiserner Gustav nannten wir ihn, für denich kurz vor dem Kriege gefahren bin, du weißt doch noch? Dreißig Droschken hatte der Mann zu fahren, und jetzt macht er so was! Da sieht man, was aus den Leuten wird!«
    Oder Rabause, der jetzt die Pferde in einer Brauerei versorgt. Er ist alt geworden, aber er weiß noch genau, wie alles war, in seinem Kopf hat sich nichts verwischt. Sieh da, denkt er. Zu Otto hat er immer gesagt, bloß Arbeit und Pflichterfüllung – und nun macht er so’nen Quatsch! Das sollte Otto bloß wissen!
    Oder die Tochter Sophie, die Oberin. Sie streicht das Zeitungsblatt glatt und denkt: Gottlob, daß sie mich hier Frau Oberin nennen, daß keiner von den Patienten den Namen Hackendahl weiß. Es war damals wirklich die höchste Zeit, daß ich ihn heraussetzte! Es ist natürlich eine Alterserscheinung bei ihm, Heinz könnte auch besser auf Vater aufpassen, er gehörte in eine Anstalt …
    Nein, alles in allem: Wenn der alte Mann auf der Chaussee wüßte, wie in der großen Stadt unter dem Lichtschimmer an ihn gedacht wird, viel Ermunterung käme ihm nicht daher. Aber die Dinge, kleine wie große, werden nicht durch den Glauben vollbracht, den die anderen an uns haben, sondern allein durch den Glauben in der eigenen Brust. Glaubt einer nur fest genug an sich selbst, werden die anderen schon kommen – irgendwann sind sie dann alle da (und haben es immer gewußt!).
    Eine aber denkt wirklich an den Alten. Sie war einmal sein Liebling, sie war hübsch und sauber, aber

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