Der eiserne Gustav
siehe da: fünf, sechs Pferdedroschken halten hier auch. Es ist nicht so überwältigend wie beim Roten Haus – es ist eben Wilmersdorf, es ist Wexstraße. Aber es ist doch ganz schön.
»Mutter, wat machste? Hier, mitten uff de Straße … vor alle Leute …«
»Was schadet denn das, Vater, wo du uns doch unter die Leute gebracht hast. Da, iß … Und der Grasmus muß auch noch fressen. Das lasse ich mir nicht nehmen …«
Und Gustav Hackendahl, der eine Person des öffentlichen Lebens geworden ist, setzt sich in eine Ecke der Droschke und ißt noch einmal Eisbein mit Sauerkraut und Erbsenpü. Und Frau Hackendahl sitzt in der anderen Ecke der Droschke und weint und versichert, daß sie ihn nie lebend wiedersehen wird, und bindet ihm Warmhalten auf die Seele und immer gut warm essen und nicht soviel trinken!
»Aber wiedersehen tu ich dich nicht …«
Ab und zu unterbricht Gustav sein Essen und verkauft Ansichtskarten. Auf dem Bock aber sitzt der junge Grundeis, hat das Notizbuch auf den Knien und komponiert seinen ersten Riemen. Es ist vielleicht kein dichterischer Gegenstand, schwer nur ließe sich ein Sonett darüber machen, auch keine Ode, keine Terzinen. Aber es scheint ihm doch was wie Leben, irgend etwas Unverwüstliches, was? Dies alte Ehepaar da hinten in der Droschke, Weinen und Essen, Verzweifeln und über trockene Strümpfe reden … (Natürlich werden sie mir die schönsten Sachen wieder rausstreichen!) Endlich, es ist schon fast drei Uhr geworden, setzt sich die Droschke in Bewegung, aus Berlin heraus, westwärts, nach Paris zu …
10
Die Droschke Nummer 7 ist durch Berlin gefahren, und nun ist sie fort.
Viele Menschen haben sie hindurchfahren sehen, sie haben ihr zugelacht und nachgewinkt, und dann haben sie wieder an anderes gedacht. Kaum einer, der an diesem Nachmittag, an diesem Abend noch etwa sagt: »Hast du auch die Droschke gesehen mit dem Kutscher, der nach Paris fahren will? Der olle Mann hat Mut!«
Der alte Mann hat wirklich den Mut. Er ist nun aus Berlin herausgekommen, Grasmus trabt munter, es geht gegen Potsdam zu und dann nach Potsdam hinein. Auf der Polizeiwache, wo er sich die Durchfahrt bescheinigen läßt, lachen sie. »Das wird Ihnen noch über werden! Wo wollen Sie denn hier übernachten?«
»Bei euch? In Potsdorf? Ick übernacht nur in bessere Städte! Ick fahr heut noch bis Brennabor!«
»Dann müssen Sie sich aber ranhalten! Geben Sie Ihrem Braunen Saures!«
»Wird jemacht, Herr Oberwachtmeister, und danke ooch schön. Hier habt ihr ’ne Karte, die könnt ihr bei euch uffbammeln, det ihr ooch saren könnt, der eiserne Justav is bei euch jewesen!«
Dann fährt er wieder weiter, die Dämmerung, der Abend, die Nacht bricht herein. Er kommt über die Havel, er kommt nach Werder. Bis hier ist er ein paarmal gefahren. Nicht oft, aber doch ein paarmal in den vielen Jahren, da er Droschke fuhr. Das waren noch die fetten Zeiten, da brachte solche Fuhre zwanzig Mark, und zwanzig Mark waren damals mehr als heute. Auf dem Heimweg waren immer alle von dem Obstwein knille. Man mußte aufpassen, daß man nicht mit knille wurde. Man hatte aufzupassen, daß man seine Fuhre richtig durchsteuerte. Nun, man hatte sie richtig durchgesteuert – bis hierhin!
Wenn er jetzt zurücksieht, erblickt er über Berlin einen großen strahlenden Schein, es ist, als flösse aus den Wolken Licht auf diese Stadt. Dort, wo er fährt, ist alles dunkel, und dort, wohin er fährt, ist auch alles dunkel. Aber er weiß, daß er nicht nur von einem Lichtschein fortfährt, sondern daß es auch einem anderen Lichtschein entgegengeht, einem Schein, der noch größer sein soll als der hinter ihm.
Wenn man so etwas weiß, macht es nichts, daß man gerade im Dunkeln fährt, man muß nur wissen, daß es ins Helle, zum Licht geht. Es gab eine lange Zeit, da fuhr man völlig im Dunkel. Hinter sich Dunkel, vor sich Dunkel, umsich Nacht. Er kann sich noch sehr wohl an seine Nuttenfuhren erinnern. Er hat es durchgesteuert, irgendwie, er weiß eigentlich nicht mehr wie, aber plötzlich war es dann alle. Und nun fährt er der fernen, fernen Helle entgegen.
Wenige denken jetzt noch in Berlin an ihn, kaum ein paar …
Da ist die Frau, sie sitzt am Fenster und sieht auf die Straße. Die Gaslaternen brennen, nur noch wenig Menschen sind unterwegs.
Sie ist immer eine weinerliche, mutlose Frau gewesen, aber heute abend ist sie richtig traurig. Sie sitzt in ihrem Stuhl, es wird immer später, sie möchte ins Bett. Aber
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