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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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taugte wirklich nichts, er hatte nicht einmal ordentliche Unterstände, er war nicht tief genug. Fast jeden Tag wurde er zusammengeschossen. Aber Tag für Tag haben wir wieder in den Graben gemußt, Hunderte von Menschen hat er uns gekostet – und schließlich ist er doch aufgegeben worden, und es ist auch ohne ihn gegangen. Aber warum dann alle Opfer?«
    Hackendahl blinzelte. »Ja, wenn Herr Leutnant nach dem Sinn fragen …«, sagte er dann langsam. »Man tut, was befohlen wird. Zuviel soll man nicht nachdenken. Das macht alles bloß schwerer.«
    »Nein, nein!« sagte der Leutnant hastig. »Sehen Sie, Unteroffizier – wie heißen Sie übrigens? Hackendahl – also,hören Sie, Hackendahl, Sie werden ja anders aufgewachsen sein als ich, aber im Grunde wird es überall das gleiche gewesen sein: Haben Sie was gehabt, was Sie lieben und verehren konnten? Überlegen Sie mal! Einen wirklich großen Menschen, den Sie gekannt, von dem Sie nur gehört haben – der nicht an sich gedacht hat, der nicht eitel war? Sehen Sie, Sie wissen auch keinen. Früher, ja, da sollen solche Menschen mal gelebt haben, aber jetzt doch nicht! Alles, was wir glauben, was wir anbeten sollten, das war tot, das war vergangen, das lebte nicht mehr …«
    Der Leutnant sah nach Hackendahl hinüber, er sah ihn gar nicht, er sagte: »Aber wenn man jung ist, muß man etwas lieben und verehren können, man muß auch etwas haben, für das sich zu opfern lohnt. Wenn man jung ist, mag man nicht nur für sein Fressen und Auskommen leben. Man will mehr – man will was ganz anderes!«
    Wieder schwieg er. Hackendahl sah aufmerksam in das helle Gesicht, das jetzt zuckte. Er hatte den Leutnant bewundert in seiner selbstverständlichen Art, nun sah er, daß der Leutnant auch seine Sorgen hatte, und eigentlich keine anderen …
    »Als dann der Krieg kam, als Deutschland in Not war, als wir alle zusammenstanden, da glaubten wir, wir hätten diese Idee. Wie begeistert waren wir, wie glücklich sind wir in die Gräben gegangen: Wir hatten ja etwas, für das sich zu sterben lohnte. Und da – plötzlich – alles grau, finster, verbissen … So etwas wie dieser kleine Grabenabschnitt, für den nutzlos Opfer über Opfer gebracht wurden! Nutzlos – nutzlose Opfer wollten wir nicht bringen! Wenn das Ganze einen Sinn hat, muß doch auch der Teil einen Sinn haben, das meinen Sie doch auch?«
    »Ich verstehe nicht viel davon«, sagte Otto. »Ich war glücklich, daß ich eine Aufgabe hatte. Vorher hatte ich keine …«
    »Sehen Sie, wie bei mir! Aber die Aufgabe muß doch einen Sinn haben? Wie? Das muß sie doch!«
    »Ich weiß nicht, Herr Leutnant, ich habe über so etwas nicht nachgedacht. Aber ich könnte mir denken – wenn wirim Feuer liegen, und das Telefonkabel ist gerissen – und der Offizier sagt, es muß eine Meldung nach hinten. Dann nehme ich den Umschlag mit der Meldung und sehe, daß ich sie nach hinten bringe. Ich weiß auch nicht, ob die Meldung wirklich wichtig ist …«
    »Ja«, sagte der Leutnant nach einer Weile, »das war nicht dumm, Unteroffizier. So kann man es auch sehen!«
    Er schwieg lange, im Osten wie im Westen grollten jetzt unaufhörlich die Geschütze. Aber bei ihnen war es noch immer still, kaum daß einmal eine Gewehrkugel über sie fort pfiff oder ein Maschinengewehr zu tacken anfing. Es verstummte aber bald wieder.
    »Und doch!« sagte der Leutnant nach einer Weile wieder bedenklich. »Nur ein dunkler Bote sein? Wir hatten es uns anders gedacht!«
    Er grübelte, dann sagte er lebhafter: »Und ein Bote an wen? Wir hier wissen alle Bescheid – aber die da hinten in der Heimat? Sind Sie mal auf Urlaub gewesen – aber natürlich sind Sie schon auf Urlaub gewesen, wo Sie seit Anfang dabei sind! Erinnern Sie sich an die verlegenen, gerührten Gesichter? Erinnern Sie sich daran, wie man immer erzählen soll vom Krieg? Und wie sie ratlos werden, wenn man nichts erzählen kann als von Dreck und Frieren und Kohldampf? Sie möchten so Heldenstücklein hören! Ja, Heldenstücklein … Und wie sie ganz verlegen werden, wenn sie merken, wie schwer einem das Rausgehen wird? Wie sie Angst kriegen, daß der geliebte und bewunderte Sohn und Bruder ein Feigling sein könnte? Wie sie einem Mut einreden wollen? Ach, Unteroffizier, die Leute in der Heimat haben ja keine Ahnung, um was es geht!«
    »Und um was geht es, wenn ich fragen darf, Herr Leutnant?«
    »Aber doch um uns selbst! Um uns Junge, denn wir allein sind doch Deutschland! Daß wir wieder

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