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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Proletarier, nun, das ganze Volk uns vertraut …«
    »Sie wollen nach einem verlorenen Kriege die Regierung übernehmen?« rief Erich. »Sie rechnen mit einem verlorenen Krieg, um an die Regierung zu kommen?! Sie müssen …«
    Er brach ab, starrte.
    »Wahnsinnig sein, wie?« ergänzte der Abgeordnete. »Aber wir sind nicht wahnsinnig, wir sind vorausschauend. Der Krieg im Felde wird verloren, Erich, das müßtest du selber wissen, wenn du den Betrieb hier siehst! So gewinnt man doch keine Kriege!«
    »Und Sie bewilligen die Kriegskredite!« sprach Erich starr.
    »Weil wir den anderen Krieg gewinnen wollen, den großen, den Weltkrieg! Du verstehst nicht, Erich? Aber welcher andere Krieg wird gekämpft, seit die Welt steht, als der für die Elenden und Armen, der für den Arbeiter, den Proleten, den Kettensträfling?
Den
Krieg wollen wir gewinnen!«
    »An diese Dinge habe ich einmal geglaubt, aber das tue ich schon längst nicht mehr. Jeder muß sehen, wo er bleibt. Nach Erlösung des Proleten sieht es doch wahrhaftig nicht aus, Herr Doktor!«
    »Doch sieht es so aus, Erich! Wenn du nämlich nicht das siehst, was du nahe vor Augen hast, sondern wenn du aus der Ferne schaust. Der ewige Krieg kann nur gewonnen werden, wenn die Menschheit den Glauben an den Militärkrieg verliert. Dieser Krieg
muß
schrecklich sein, er muß noch viel schlimmere Opfer fordern – Erich, der Front stehen schreckliche Dinge bevor! In England bauen sie Kampfwagen, Tank nennen sie sie noch als Deckwort, sie gehen ohne Räder, Stahlungetüme, über alle Drahtverhaue, alle Gräben fort … Unsere Militärs glauben nicht an die Wirkung, aber sie werden erleben …«
    »Und ein so geschlagenes Volk wollen Sie regieren?«
    »Erich, wir werden ja nicht allein geschlagen sein, alle werden besiegt sein. Man muß Opfer bringen, wenn man viel erreichen will! Die Fortsetzung des Krieges, die wir den Militärs ermöglichen, zerbricht für immer den Glauben an die Militärkaste. Und dann kommen wir!«
    »Besiegte Sieger!«
    »Aber alle werden sie besiegte Sieger sein. Glaubst du, wir werden mit den Militärs verhandeln? Die Arbeiter der Welt werden wir zusammenrufen! Glaubst du, der französische Arbeiter wird uns nicht verstehen, wenn wir ihm sagen: ›Nie wieder Krieg‹? Dann kommt die Befreiung des Arbeiters der Welt, dann kommt unser Staat, Erich. Du hast auch an ihn geglaubt, du glaubst noch an ihn, trotz dem und trotz dem …«
    Er tippte mit dem Finger auf die silberne Epaulette, auf die Brust des Waffenrocks, unter dem das Seidenhemd saß.
    »Es wäre schön …«, sagte Erich träumerisch.
    »Schön? Glaube mir, Erich, dieser Friede wird anders kommen, als ihn jeder erwartet. Aus den Schützengräben werden sie zusammenlaufen: Deutsche und Franzosen und Engländer. Sie werden sich ansehen, sie werden gar nicht mehr verstehen, daß sie aufeinander schießen konnten.«
    »Es wäre schön …«, sagte Erich noch einmal, und dann: »Und was könnte ich dafür tun, Herr Doktor?«
    »Du müßtest …«, flüsterte der Doktor, und jetzt war er es, der nach Tür und Fenster sah. »Du müßtest …«

9

    Als es auf den Morgen ging, wurde die Stimmung im Packsaal der Munitionsfabrik immer verdrossener und gereizter.
    Der Aufseher merkte es wohl. Wenn es man nur nicht noch etwas gibt, dachte er, schob die Hände in die Taschen und stellte sich vor einen Aufruf zum Zeichnen der sechsten Kriegsanleihe, fest entschlossen, von seiner Seite zu einem Ausbruch der üblen Laune nichts beizutragen.
    Die Frauen, meist in häßlichen Hosen, die ihnen jeden weiblichen Reiz nahmen, saßen nebeneinander an langen Holztischen und griffen nach den Pulverstäben, die eine am Kopfende des Tisches stehende Maschine aus endlosen Pulverbändern abgeteilt hatte. Dann verpackten sie diese Stäbe. Gab es die Arbeit, daß eine der anderen etwas zu sagen hatte, irgendeine kurze Bemerkung: »Rück die Kiste näher!« oder »Mach schnell!«, so wurde es leise gesagt und klang doch, als haßten sie alle einander.
    Eva Hackendahl stand an ihrer Maschine. Sie drückte auf den Hebel. Die Messer senkten sich und teilten den stumpfgrauen Pulverstab ab. Hände griffen nach den Stäbchen, sie ließ den Hebel los, er federte hoch, und wieder legte sie ihre Hand auf ihn, um ihn hinunterzudrücken.
    Seit acht Uhr abends tat sie so. Eine tödliche Müdigkeiterfüllte sie, ein Ekel vor aller Tätigkeit, vor dem eigenen Ich. Die Müdigkeit lag wie ein pressender Ring um ihren Kopf, nicht eine

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