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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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damit Vater doch weiß, daß wir alle noch gesund und am Leben sind. Das Leben – darum ging es ihnen, das Leben war etwas Heiliges. Sie mußten es erhalten, ihretwegen, ihrer Kinder wegen. Sie dachten nicht darüber nach, sie handelten. »Durchhalten« – eine Parole, erfunden, ausgedacht, und immer wieder in alle Hirne gehämmert –, durchhalten, das hieß für sie: am Leben bleiben. Warum eigentlich? War dieses Leben mit den fast verhungernden Kindern lebenswert? Sie dachten nicht darüber nach – man mußte leben, auch wenn es schwer war.
    Der Hebel kommt, wird herabgedrückt, losgelassen – kommt der Hand entgegen. Im Anfang hat Eva jede Nacht von diesem Hebel geträumt und den Messern und von den Händen zwischen den Messern … Dann sah sie blutige Hände, abgeschnittene Finger, mit einem Angstschrei wachte sie auf … Solch ein Traum war nichts Besonderes, alle Frauen träumten so. Sie hatten Männer draußen, sie sahen nicht nur fremde Hände im Blut, sie sahen den geliebten Leib zerstört!
    Nein, Eva Hackendahl hat es besser als die anderen, theoretisch ja, Tutti nahm ihr fast alles ab. Sie hat keine Kinder zu versorgen, kein Mann ist im Felde, um den sie sich ängstigen muß. Sie weiß, daß sie es besser hat, aber sie hat es doch nicht besser. Einmal, es ist noch gar nicht so lange her, stand sie auf einer kleinen, steinernen, feuchten Plattform. Nicht tief unter ihr, unsichtbar, zog und plätscherte das Wasser. Sie hat es nicht getan. Und doch, und doch – oh, er war so widerlich und gemein, aber das bißchen Kampf, das sie in aller Schwäche gegen seine Brutalität kämpfte, dies bißchen Kampf hatte irgendwieihrem Leben Inhalt gegeben, diesem Leben, das nun ganz leer geworden war! Als man um das Leben kämpfte, hatte es einen Sinn gehabt – nun war es ganz sinnlos geworden.
    Der Aufseher schiebt die Mütze aus der Stirn, er wendet sich von dem Plakat ab. Es ist fünf Minuten vor sieben – es ist doch noch einmal, wider alles Erwarten, gut gegangen.
    Im gleichen Augenblick hört er einen Schrei. Einen ganz hohen Schrei. Er springt an den Hebel – mit einem Griff wirft er die Transmissionsriemen von den Scheiben. Die Maschinen summen und brummen tiefer und stehen still.
    Um so lauter schreien die Stimmen.
    »Sie hat es absichtlich getan! Sie hat gesehen, daß ich die Hand noch in der Maschine hatte!«
    Die Angeschuldigte, Eva Hackendahl, steht schneeweiß da, zitternd. Ohne ein Wort der Verteidigung blickt sie auf die graue Hand, die gegen sie gehalten wird, auf die Hand, von der Blut tropft, über die Blut strömt »Mit Absicht hat sie es getan!« schreit die kleine Verletzte wieder, ein Weib mit scharfem Vogelgesicht. »Ich habe sie noch angesehen, weil ich ein bißchen zurück war, und sie hat mich wieder angesehen. Und grade hat sie die Messer kommen lassen …«
    »Das ist wahr!« ruft eine.
    »Red doch nicht!« widerspricht eine andere. »Du hast geschlafen!«
    »Ich habe nicht geschlafen, ich war ein wenig zurück.« Plötzlich fängt sie an zu weinen. »Warum hast du das gemacht?! Ich habe dir doch nie was getan! Oh, meine Hand – nun kann ich nicht arbeiten – da, ich kann den Finger nicht rühren …«
    »Zeig deine Hand her«, sagt der Aufseher. »Schrei doch nicht so! Das ist ja nichts. Das ist ein Ratzer … da wirst du nicht mal krank geschrieben …«
    »Ich nicht krank!« fängt die an.
    »Blut!« kreischt plötzlich eine hochschwangere Frau. »Das Blut! Geht doch weg, laßt mich doch mal das Blut sehen …«
    Ungehört verhallen draußen die Klingelzeichen: Feierabend. Ein neuer Morgen.
    Der Tumult wächst, andere Aufseher kommen, Werkmeister, ein Ingenieur.
    »Ruhe doch! Bringt doch nur die Weiber zur Ruhe!«
    Eva Hackendahl steht bleich neben ihrer Maschine. Sie ist die einzige, die kein Wort sagt. Aber sie denkt immerzu: Ich soll es absichtlich getan haben. Habe ich es absichtlich getan? Nein. Ich weiß nicht. Vielleicht habe ich es doch absichtlich getan? Ich weiß nicht … Man kann sich nicht immer nur vor etwas ängstigen, das vielleicht nie kommt … Diese letzten tödlichen Schulminuten, in denen immer noch etwas geschehen kann … Vielleicht trifft mich Eugen doch einmal, und all die Quälerei jetzt war umsonst …
    »Machen Sie, daß Sie nach Haus kommen. Wozu stehen Sie hier noch rum? Von der Maschine sind Sie abgelöst. So was darf nicht vorkommen.«
    »Ich habe es nicht absichtlich getan.«
    »Wer sagt denn das? Die? Ach die! Aber besser aufpassen müssen Sie!

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