Der eiserne Gustav
Na, nun arbeiten Sie eben als Packerin. Zehn Pfennig weniger die Stunde, aber Sie hätten auch besser aufpassen müssen! Später kann man sehen … vielleicht in Saal fünf. Aber es wird sich natürlich rumquatschen.«
»Vielleicht habe ich es doch absichtlich getan?«
»Ach, red doch keinen Stuß! Fängst du nun auch noch an?! Mach, daß du nach Haus kommst! Schlaf dich aus. Absichtlich – so ein Quatsch!«
10
Der Weg nach Haus war schwerer und trauriger denn je. Wozu ging man nach Haus, legte sich in ein Bett, sammelte neue Kräfte, um doch nie eine Freude zu haben?
Immer langsamer ging Eva Hackendahl. Es war schon fast taghell, die Laternen brannten nicht mehr, grau standen die grauen Gestalten vor den Läden. Es gehen noch andereLeute neben ihr, hinter ihr – aber sie beachtet keinen, wie niemand sie beachtet. Eine Frau in Arbeitshosen wäre noch vor zwei Jahren ein unerhörter Anblick in Berlin gewesen – die Zeiten haben sich geändert. Heute ist eine gut angezogene Frau ein sehenswerter Anblick – wenigstens in dieser Gegend Berlins.
Vor Eva Hackendahl geht ein schwer bepackter Feldgrauer, irgendein Urlauber, er hat denselben Weg wie Eva. Otto Hackendahl geht langsam, viel um sich schauend. Als er vor zwei Jahren Berlin verließ, waren die beflaggten Straßen voll von fröhlichen Menschen. Die Mädchen trugen helle Kleider, Blumen gab es und Kränze, Zigarren und Schokolade. Er findet eine graue, trostlose Stadt wieder, schon am Morgen scharren müde Füße über das Pflaster. Grau und trostlos sind die Gesichter, alle Schultern scheinen nach vorn zu hängen, es gibt nichts Helles mehr. Er hat kein einziges Lachen gehört. Gestern ekelte ihn der falsche Prunk der Etappe, heute sah er die abbröckelnde, zerfallende Stadt des Hinterlandes – und die Ödnis griff nach ihm, bezog ihn sofort ein.
In den Gräben hatten sie von dem Hunger im Hinterland gesprochen, manch einer hatte gesagt: »Sie sollten sich bloß nicht so haben! Wenn wir im Feuer liegen und die Essenträger kommen nicht heran, hungern wir auch vierundzwanzig Stunden. Es ist alles halb so schlimm!«
Gleich begriff Otto: Es war alles dreimal so schlimm, hundertfach schlimm! Es war nicht nur der leibliche Hunger; wenn man in diese hoffnungslosen Gesichter sah, begriff man, es war viel mehr die völlige Freudlosigkeit, das Fehlen von allem, was das Leben erst lebenswert macht, eben das Hoffnungslose!
Er ging noch langsamer, er sah den Torweg schon. Er hatte ihr nicht geschrieben, daß er kommen würde, er hatte ihr die Vorfreude genommen, die Möglichkeit, zu hoffen … Eine Angst faßt ihn: Wie wird sie sein, wie sehr wird auch sie sich verändert haben? Komme ich nicht schon viel zu spät mit alldem, was ich geworden bin? Wie werde ich sie finden?!
Eine Frau in Hosen geht an ihm vorüber, sie sieht flüchtig, gleichgültig von der Seite in das bärtige Gesicht des Urlaubers. Noch bis in den nächsten Torgang hinein geht Eva Hackendahl, bis sie völlig begriffen hat: Sie sah in das Gesicht ihres Bruders Otto. In ein straffer gewordenes Gesicht, der Blick männlich klar, ohne Scheu.
Sie lehnt an der Wand des Torwegs, sie versucht, sich vorzustellen, was das bedeutet: Der Bruder ist heimgekehrt! Komisch – sie muß zuerst daran denken, ob Otto sich gleich, müde von der Reise, ins Bett legen wird, dieses einzige Bett, das neben dem Kinderbett dort oben steht? Oder ob sie das Bett für sich haben kann – wenigstens heute vormittag noch?
Mit einem ungeduldigen Kopfschütteln will sie diesen albernen Gedanken von sich scheuchen, als ob das wichtig wäre! Aber gleich muß sie sich ausdenken, wie es denn nun da oben werden wird, in der nächsten Zeit, mit dem Zusammenleben, Stube und Küche, und nur die eine Schlafgelegenheit! Wie lange bleibt denn so ein Urlauber? denkt sie. Eine Woche oder vierzehn Tage? Das wird sich schon einrichten lassen, und dann beginnt wieder unser altes Leben.
Jetzt kommt der Soldat in den Torweg. Sie versteckt sich rasch. Der Soldat geht vorbei, auf den nächsten Hof. Sie folgt ihm langsam, vorsichtig, beobachtend.
Dann beginnt wieder unser altes Leben! so hallt es in ihr nach. Aber was ist denn dieses alte Leben? Plötzlich begreift sie, wie vorläufig es war, immer auf Abruf, ein Leben geführt auf tägliche Kündigung! Einmal war der Krieg aus, und es gab keine Munitionsfabriken mehr, einmal kam der Bruder heim und wollte sein Heim für sich – aber was wurde dann aus ihr?!
Der Bruder fängt an, die
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