Der Eiserne König
Erzvorkommen, Manufakturen und Schmieden, in denen die meisten Waffen Pinafors hergestellt wurden, war von großer strategischer Bedeutung. Die Späher, die Blaubart ausgesandt hatte, kehrten vollzählig zurück. Da sie auf keine Gegenwehr gestoßen waren, setzte man den Vormarsch fort. Auf den Pfaden, die sich durch Wälder und Täler wanden, ging es langsam voran, und zur Sicherung der Flanken ritten Krieger zu beiden Seiten der Streitmacht durch den Wald. Wenn sie in Weiler einmarschierten, qualmten noch die Schornsteine, aber die Bewohner, von Landmännern aus Flutwidde vor der nahenden Streitmacht gewarnt, waren geflohen. Auch das erste Bergwerk, auf das sie stießen, war verlassen, die Schmelzöfen waren erkaltet. Die Karontiden, die man in die Gruben hinabschickte, fanden keinen einzigen Bergmann.
»Wie sollen wir Waffen und Rüstungen schmieden, wenn es weder Arbeiter noch Handwerker gibt?«, fragte Blaubart.
»Sie haben sich bestimmt in den Wäldern verkrochen«, sagte ein alter Haudegen aus Rottland, der seinem Herrn bei allen Raubzügen und Greueltaten treu zur Seite gestanden hatte.
»Dann schafft sie her!«, schrie Blaubart und schlug mit einer Faust auf den Sattel.
»Der Eiserne König hat uns befohlen, jeden Feind zu töten«, warf ein anderer Raubritter ein.
»So?« Blaubart hob das Kinn mit dem metallisch glänzenden Ziegenbart und spuckte in den Staub. »Und wie sollen Tote unsere Streitmacht aufrüsten? Bei aller Hochachtung – unser Gebieter scheint das nicht bedacht zu haben.«
»Wir sollten den Lohwald erst ganz besetzen, bevor wir die Wälder durchkämmen«, riet ihm der alte Haudegen.
Blaubart starrte ihn an. Dann zischte er: »Ich will die Weiber. Zum Vergnügen. Und die Männer. Zur Arbeit. Versteht ihr?«
Der alte Haudegen zog eine Augenbraue hoch. Er wusste nur zu gut, was Blaubart unter ›Vergnügen‹ verstand.
»Wir haben nur noch für drei oder vier Tage Proviant, und die Jagd reicht nicht aus, um die Truppe zu verpflegen«, sagte Grimm.
»Und jetzt? Sollen wir den ganzen Lohwald abfackeln, um diese Bastarde auszuräuchern?«, fragte Blaubart bissig.
»Ich schlage vor, dass Reitertrupps Getreide und Vieh in den Weilern beschlagnahmen«, erwiderte Grimm.
»Dann stell die Trupps zusammen, Bratröhrenfratze«, fauchte Blaubart. »Aber du bleibst bei der Nachhut, kapiert?« Und er befahl, den Vormarsch fortzusetzen.
Der zornbrodelnde Grimm wollte seinen Rappen wenden, um den Befehl auszuführen, als einer von Blaubarts Schergen, ein baumlanger Kerl, der seine Feinde mit Holzfälleräxten in ihre Einzelteile zu zerlegen pflegte, Alarm gab.
»Ein Späher!«, brüllte er und zeigte auf eine Erzhalde.
Die Männer fuhren herum. Auf der Halde, die am Rand des Bergwerks aufgeschüttet worden war, stand ein halbnackter, mit Runen tätowierter Greis und sah auf die Streitmacht hinab. Auf einen Wink Blaubarts legten Bogenschützen an und ließen einen Pfeilhagel auf den Fremden niedergehen, aber er verschwand, bevor ihn die Pfeile erreichten, und man fand nicht einmal Fußabdrücke. Einige Krieger munkelten von einem Geist, manche waren beunruhigt.
Am übernächsten Tag stießen sie auf einen Reitertrupp, der offenbar in einen Hinterhalt geraten war: Raubritter und Kultknechte waren von Pfeilen niedergestreckt worden, die Pferde hatte man erschlagen. Sofort schwärmten Krieger aus, um die Toten zu rächen, aber der Feind war genauso spurlos verschwunden wie der Greis auf der Erzhalde. Die anderen Reiter kehrten am nächsten Tag zur Streitmacht zurück. Außer einigen Ziegen hatten sie nichts gefunden.
»Diese Bastarde werden keinen offenen Kampf wagen. Also müssen wir sie samt ihrer verdammten Vorräte finden«, sagte Blaubart mit gefährlich funkelnden Augen. »Wir lagern in der Silbermine am Welsfluss, denn sie liegt am günstigsten. In der Nähe befindet sich die Anlegestelle für die Frachtkähne. Von dort aus durchforsten wir alles. Wir drehen jeden Stein um und schauen hinter jede Tanne. Beordert die Wilde Jagd hierher. Sie soll uns unterstützen.«
Nachdem Boten zur Feste aufgebrochen waren, rückte die Streitmacht weiter vor. Die Wälder schwiegen. Die Furcht vor Hinterhalten ging um. Anders als in Flutwidde, dessen Bewohner kaum Widerstand geleistet hatten, waren die Leute des Lohwalds durch die Nachricht von der anrückenden Streitmacht rechtzeitig aus Trägheit, Schnapsseligkeit und Goldrausch erwacht.
Dieses Mal war ein Blutzoll zu befürchten.
Auf einer
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