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Der Eiserne König

Der Eiserne König

Titel: Der Eiserne König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Henry Eagle
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leerte. Dann sah er sich um, aber Blaubarts Gefangene waren fort. »Diese Frauen haben Unaussprechliches erdulden müssen«, stieß er hervor. »Und nicht nur hier. Man hat mir berichtet, dass sie zuvor Stroh zu dem Gold spinnen mussten, das die Bewohner Pinafors verdorben hat.« Sein Zorn ging mit ihm durch, und er warf den Becher gegen die Mauer des Bergfrieds.
    Daraufhin wurde das Spitzbogenfenster geöffnet, und Horn brüllte: »Ruhe da unten! Hier oben ist Schäferstündchen!«
    »Horn«, rief Sanne erleichtert, aber das Fenster wurde sofort wieder geschlossen.
    »Sobald mein Bruder mit seinem Bann zurückkehrt«, knurrte Hilck, »werden wir diesem Spuk ein Ende bereiten.«
    Am späten Nachmittag brachen die Mädchen auf. Hilck von der Usse bedankte sich bei ihnen, pries ihren Mut und wollte ihnen Gold zustecken, das sie aber ablehnten.
    »Ich müsste mich schämen, wenn ich mich dafür bezahlen ließe, Euch geholfen zu haben, Herr«, erwiderte eine.
    Der Gograf sah ihnen nach. Sie trugen graue Feldmäntel über den bunten Kleidern und wurden rasch von der anbrechenden Dämmerung verschluckt. »Wenn ich je wieder einen weisen Rat brauche, wende ich mich an diese Mädchen«, murmelte er. Als er sich umdrehte, stand Hella vor ihm.
    »Gebt mir Hose, Wams und Schwert, und ich werde für Euch kämpfen«, sagte sie, griff nach ihren langen, blonden Haaren und kappte sie mit einem Messer auf Schulterhöhe.
    Hilck von der Usse sah zu, wie die Strähnen zu Boden fielen. »Liebend gern«, erwiderte er hingerissen. »Ich … äh …
wir
brauchen dringend eine … will sagen:
jede
Frau.« Er riss sich von Hella los und befahl einem Ritter, sie auszurüsten.
    Nach Einbruch der Dunkelheit entfachte man weitere Feuer auf dem Hof der Grenzfeste. Hans saß noch an Gretes Grab, Horn war noch oben im Bergfried. Holz knackte in der Glut. Die Männer starrten stumm in die Flammen und hingen ihren Gedanken nach.
    »Nur Mut«, sagte die Muhme und klopfte dem neben ihr sitzenden Gograf auf die Schulter. »Wir können es schaffen. Vielleicht sogar ohne List und Tücke.«
    »Ja, ja«, seufzte Hilck von der Usse. »Aber wisst Ihr, Muhme: Manchmal würde ich gern auf Stand und Ehre pfeifen.« Er versank in tiefem Schweigen.
    In den frühen Morgenstunden, als bis auf die Wachen alle schliefen, traf Helmdag mit dem Rest seines Banns ein. Man hatte nicht vor dem übernächsten Tag mit ihm gerechnet, und als er von seiner Niederlage erzählte, war das Entsetzen groß. »Karontiden und Wilde Jagd haben uns überrumpelt«, sagte er. »Verzeih mir, Bruder.«
    Hilck glaubte anfangs, er würde noch träumen. Als ihm die Wahrheit dämmerte, riss er wütend an seinem karottenroten Bart. »Und du willst ein Heerführer sein?«, brüllte er seinen Zwillingsbruder an, der schuldbewusst den Kopf hängen ließ.
    »Die Welse haben uns gerettet«, murmelte Helmdag. »Ohne sie wären wir alle tot. Sie haben uns auf ihren Rücken bis in den Greting getragen. Darum bin ich jetzt schon hier.«
    »Lieber später und mit allen Männern!«, zürnte Hilck und betrachtete die abgekämpfte Ritterschar, die sich gemeinsam mit seinem Bruder hatte retten können. Er wollte gerade zu einer neuen Schimpftirade ansetzen, als er Hella erblickte, die verschlafen und mit wirren Haaren zwischen den Kriegern stand. Er räusperte sich, als hätte er plötzlich einen Frosch im Hals. »Tja«, brummte er, »so oder so – es ist, wie es ist, und es ist nicht mehr zu ändern. Geht schlafen.« Er gab Helmdag einen halb zornigen, halb zärtlichen Klaps auf die Wange und trottete müde davon.
    Am nächsten Morgen hing Nebel über Rottland. Tau tropfte von Traufen und Gesimsen, die Glut der Feuer zischte und knisterte. Sanne ging nach dem Erwachen zum Brunnen, um sich zu waschen. Als sie den Eimer nach oben kurbeln wollte, sah sie einen gewaltigen Hirsch – einen Zwölfender, der wie ein Geist aus dem Nebel trat; Dunst dampfte aus seinen Nüstern. Sanne ließ erschrocken die Kurbel los. Der Eimer rasselte in den Brunnenschacht und klatschte in das Wasser, und als wäre dies ein Signal gewesen, trabten von überall her Tiere auf sie zu: Wölfe, Bären, Luchse, Rehe, Marder, Wiesel und andere mehr. Der Hirsch blieb vor ihr stehen und sagte: »Der Rat der Tiere hat uns gesandt, kleine Frau. Wir haben einen weiten Weg hinter uns. Wir wollen mit den Gografen sprechen.«
    Sanne starrte das prächtige Tier an: Sein Fell war dunkel von Tau, sein Geweih glänzte. »Wartet hier«, sagte

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