Der Eiserne König
den Wieseln geht alles drunter und drüber – ihr Dasein ist ein Tummelplatz der Triebe ohne Sinn und Verstand.«
»So ist es immer und überall«, knurrte die Muhme. »Wir würden uns wohl zu Tode langweilen, wenn es anders wäre.« Danach schwieg sie so grimmig und paffte so wütend, dass Sanne nichts mehr zu sagen wagte.
Im Morgennebel wirkten die Mauern Rottlands noch höher und trutziger als sonst, der Bergfried war nur ein Schemen, die eingestürzten Wälle und Kerkertürme bildeten eine bizarr zerklüftete Landschaft. Die Feste hatte etwas Bedrückendes, vor allem, wenn man an die Greuel dachte, die Blaubart hier verübt hatte. Sanne wäre gern aufgebrochen, zumal sie sich nach ihren Gefährten sehnte, aber die Gografen schienen sich über ihre Taktik nicht im Klaren zu sein; vielleicht zögerten sie, weil ihnen die Tiere nicht mehr folgten, vielleicht, weil ihnen ihre Unterlegenheit bewusst war. Trotzdem mussten sie handeln. Sanne sah zur Muhme, die an ihrem Tee nippte, an der Pfeife zog und langsam aus Schlaf und Traum auftauchte. Was mochte der Eiserne König, dessen Macht täglich wuchs, im Schilde führen?
30. Genugtuung
Das Banner des Eisernen Königs knatterte über der Feste der Gografen im Wind. Die Wächter auf den Türmen ließen ihren Blick in alle Himmelsrichtungen schweifen, aber das Land war grau und still. Die Hügel wirkten müde, der Welsfluss strömte kraftlos dahin, im Norden schienen sich die Gipfel des Gretings mit letzter Anstrengung aufrecht zu halten. Pinafor war besiegt, geschwächt, entmutigt. Die Streitmacht des Eisernen Königs lagerte auf dem Werder und an den Ufern – ein Gewimmel von Kriegern und Karontiden, so weit das Auge reichte; Zelte, Laubhütten, Lagerfeuer, Kriegsgerät. Die Wesen der Wilden Jagd hockten dicht an dicht auf den Zinnen aller drei Festungsringe.
»Ein letzter Schlag«, sagte ein Raubritter, der auf einem der Westtürme Wache hielt, »und das Land gehört uns.«
Sein Kumpan lachte. »Unsere Streitmacht wird das Heer der beiden Rotbärte überrollen«, erwiderte er. »Sie haben uns nichts entgegenzusetzen.«
Das fahle Licht, das durch die Fenster des Rittersaals fiel, erhellte eine Szene der Verwüstung: Kehrweiber fegten den von Dreck, Bierlachen und Speiseresten übersäten Boden. Sie schwitzten vor Angst, weil sie die Krieger, die auf Tischen und Bänken ihren Rausch ausschliefen, nicht wecken durften. Karontiden dämmerten vor einer Wand, Humpen zwischen den Beinen und abgenagte Hammelbeine in den Pranken. Der Eiserne König saß auf dem Thron. Spinnen webten Netze auf seiner Rüstung, Asseln bedeckten seine Panzerschuhe. Seine Augenlider waren halb geschlossen. Vielleicht träumte er von der Welt nach seinem Sieg: Rot wie Blut und schwarz wie die Nacht, erhellt nur vom Blitzen des Goldes. Er hatte dieses Gelage zu Ehren Blaubarts und jener Krieger abgehalten, die Helmdags Heerbann vernichtend geschlagen hatten.
Grimm erwachte als Erster. Er hatte viel getrunken, denn er bekam keinen Kater mehr, eine angenehme Nebenwirkung seiner Wiedererweckung; eine andere war die, dass er sich nicht mehr rasieren musste. Als er die Rubinaugen aufschlug, stellte er fest, dass seine Wange auf einem fettigen Teller lag. Er wischte sie ab und stieß, als er sich aufrichtete, gegen ein Kehrweib, das erschrocken aufschrie. Blaubart lag auf dem vordersten Tisch, umringt von Bocksbeuteln und Humpen. Er schnarchte rasselnd und hielt immer wieder die Luft an; wenn er ausatmete, knarrte er wie ein Blasebalg. Grimm griff nach einem kalten Bratenstück. Als er die Zähne hineinschlug, fiel ihm Barbera ein. Während er kaute, merkte er, dass er sie vermisste. Als er schluckte, dachte er, dass er ihr Galan bleiben würde, egal, wie viele Male und Narben ihr Gesicht entstellten. Sie war zwar nicht nur ein weises Weib, sondern auch eine Hexe, aber was tat das zur Sache? Es erhöhte sogar ihren Reiz. Grimm biss wieder in den Braten und schielte zu Blaubart – dieser Mann schnarchte wie eine Wildsau, war geiler als ein brünftiger Hirsch, lachte wie ein Eunuch und kommandierte alle herum. Grimms Blick fiel auf einen Bratspieß: Ein Griff und ein Stich, und er wäre diesen Trottel los. Dann würde er aus der Feste schlendern, seinen Rappen besteigen und davonreiten.
Der Eiserne König, sein Herr und Meister, eingesponnen und umwimmelt und wie sein eigenes Denkmal auf dem Thron sitzend, klappte ein Auge auf und sah Grimm an, als könnte er Gedanken lesen. Dann schloss sich
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