Der Eiserne König
unfassbar. Eigentlich gibt es keinen Trost.« Sie schwieg. Dann fügte sie hinzu: »Außer jenem, der darin besteht, dass man selbst noch lebt. Vielleicht dient man den Toten am besten, indem man das Leben weiterführt, das für sie zu Ende gegangen ist. Man möchte am liebsten auch sterben. Aber wem würde das nützen?« Sie hörte, wie Hans schluckte. Er wandte ihr das stoppelbärtige, verhärmte Gesicht zu.
»Ja, wenn Grete ein Leben gehabt hätte«, murmelte er. »Jetzt hätte sie es besser haben können. Aber sie ist tot.«
»Du bist ihr nichts schuldig«, erwiderte Sneewitt, die spürte, was ihn quälte.
Hans räusperte sich einen Frosch aus dem Hals. »Ich hatte einen Traum, während ich hier saß«, fuhr er fort und streckte sich auf dem Boden aus.
Sneewitt strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie konnte zwischen den Trümmern der Kerkertürme das Feuer sehen, an dem ihre Gefährten saßen, und schlang ihre Arme um den Oberkörper, denn sie fror.
»In diesem Traum sind mir Maleens Vögel erschienen, Zeisig und Sperling«, erzählte Hans. »Sie waren groß wie Hirsche, fast furchterregend. Sie sagten: ›Kleinvieh macht auch Mist. Halte dich an die Kleinen, denn sie vollbringen Großes!‹ Dann sah ich Maleen, die weinend vor der Esche lag, und die Esche war verdorrt. Und Maleen rief: ›Mücken und Ameisen werden sich beweisen! Wo der Maulwurf gräbt, kann es sein, dass die Erde bebt! Oh, Golliwogg, ohe!‹«
Sneewitt schwieg verdutzt. »
Oh, Golliwogg, ohe
?«, fragte sie. »Was soll das heißen?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Hans, der sich auf die Unterarme stemmte. »Vielleicht ist es eine Anrufung, eine Beschwörung oder ein Zauberspruch. Ich denke, Maleen hat mir den Traum gesandt – sie wollte mir etwas mitteilen.«
»Komm mit ans Feuer«, bat Sneewitt. »Dort können wir über alles reden. Wir haben Herbst. Es ist kalt. Oder willst du dir wirklich den Tod holen?«
Hans erhob sich bleiern. »Gehen wir«, seufzte er. »Ich kann sie ja doch nicht wieder lebendig machen.«
Sobald er am Feuer saß, versank er in tiefem Schweigen.
»Das ist zweifellos Zahlenmagie«, sinnierte der Fuchs. »Jeder Buchstabe steht für die jeweilige Stelle im Alphabet: ›Oh‹ ist fünfzehn plus acht, also dreiundzwanzig; ›Golliwog‹ ist – äh: Sieben plus fünfzehn plus zwölf plus zwölf plus neun plus dreiundzwanzig plus fünfzehn plus sieben. Macht genau hundert. ›Ohe‹ ist fünfzehn plus acht plus fünf. Macht achtundzwanzig.«
»Na, toll, du Held«, höhnte Meister Grimbart, der im Schoß der Muhme lag. »23-100-28. Und was heißt das?«
»Gute Frage«, erwiderte Reineke Fuchs etwas altklug. »Aber ich bin fest davon überzeugt, dass diese Zahlen der Schlüssel zu unserem Sieg sind. Vergesst nicht, dass ich die Karte auf Maleens Rücken enträtselt habe!«
»Das ergibt zusammen 151«, murmelte Hilck von der Usse. »Was könnte diese Zahl bedeuten?«
Die Ritter kratzten sich nachdenklich am Kopf. Harlung zählte irgendetwas an den Fingern ab. Hans-mein-Igel, Hilcks Knappe, bohrte im linken Ohr, als wollte er seine Gedanken ankurbeln, und verkündete dann: »Eins plus fünf plus eins … Das macht sieben, oder?«
»Der Mann ist ein Genie«, sagte der Dachs. »Jetzt haben wir also 151 und sieben. Addiert ergibt das 158. Diese Zahl ist unsere Rettung – hurra!«
»Können wir die Streitmacht des Eisernen Königs mit genau 158 Männern besiegen?«, fragte Helmdag.
»Eins plus fünf plus acht ist vierzehn«, warf der Fuchs ein. »Also reichen vierzehn Männer. Es müssen nur die richtigen sein.«
»Wir sollten vierzehn Füchse gegen den Eisernen König ins Feld schicken«, erwiderte der Dachs. »Sie werden ihn kraft ihrer Klugheit in die Knie zwingen.«
»Fünf sind genug«, ergänzte die Muhme. »Denn das ist die Summe von eins und vier.«
»Prächtig, prächtig«, brummte Hilck von der Usse. »Schafft die fünf Füchse herbei, und der Eiserne König ist erledigt.«
Harlung runzelte die Stirn. Mehrere Ritter lachten unsicher. Alle anderen saßen ratlos am Feuer.
»Abgesehen von den fünf rettenden Füchsen bin ich durchaus der Ansicht, dass der Traum etwas zu bedeuten hat«, erklärte die Muhme. »Er ist eine Botschaft von Maleen.«
»›Kleinvieh macht auch Mist‹«, brummte Harlung. »Welche Zahl ergibt sich, wenn man alles addiert?«
»Oooh!«, rief Sneewitt und warf einen Ast ins Feuer; Funken stoben in die Nacht. »Schluss mit dem Unsinn. Fünf! Das sind die Finger an einer
Weitere Kostenlose Bücher